Gebäude der Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim in den 1920er Jahren.
Gebäude der Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim in den 1920er Jahren.  Bild: Die Rheinweine Hessens. Mainz 1927. Zweite Auflage.

Staatliche Weinbaudomäne

Domäne, Schule sowie Lehr- und Versuchsanstalt

Um die Ausbildung in den Weinbaubetrieben und die Bekämpfung der neu in Europa eingeschleppten Rebkrankheiten zu unterstützen, gründete Großherzog Ernst Ludwig von Hessen im Jahr 1900 eine eigene staatliche Weinbaudomäne in der rheinhessischen Provinz. Es handelte sich dabei gleichermaßen um eine Ausbildungseinrichtung als auch um einen staatlichen Wirtschaftsbetrieb, der als Musterweingut neue Methoden in Landwirtschaft und Vermarktung erproben und in der Region als Vorbild fungieren sollte. Als Vorbild diente die preußische Weinbaudomäne um Kloster Eberbach.

Bereits 1895 war zu diesem Zweck in Oppenheim eine staatliche Wein- und Obstbauschule gegründet worden, die spätere Lehr- und Versuchsanstalt. [Anm. 1] Der Weinbergsbesitz lag anfänglich bei Bodenheim und Oppenheim, wurde jedoch in den Folgejahren durch weitere Käufe vor allem in und um Bingen, Nackenheim, Nierstein und an der Hessischen Bergstraße ausgeweitet. Er umfasste um 1930 eine Fläche von 82,5 Hektar. [Anm. 2] Die Hauptkellerei und Verwaltung der Domäne waren in Mainz angesiedelt. [Anm. 3] Diese Standortaufteilung ist maßgeblich auf den Oppenheimer Abgeordneten der zweiten Kammer der hessischen Landstände, Carl Heinrich Koch, zurückzuführen, welcher erfolgreich für seinen Heimatort warb. Das Zugeständnis des damals wichtigen Weinhandelsstandorts Mainz als Verwaltungszentrale war ein Kompromiss, auf den sich die Abgeordneten einigen konnten. [Anm. 4]

Gebäude der Großherzoglichen Hessischen Weinbaudomäne in Bodenheim (1920er Jahre). Bild: Sammlung Horst Kasper
Chemischer Untersuchungsraum (1920er Jahre). Bild: Stadbibliothek Mainz (CC BY-NC-SA 3.0), urn:nbn:de:0128-3-2852
Direktionsgebäude in Mainz (1920er Jahre). Bild: Stadbibliothek Mainz (CC BY-NC-SA 3.0), urn:nbn:de:0128-3-2852
Gebäude der Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim in den 1920er Jahren. Bild: Die Rheinweine Hessens. Mainz 1927. Zweite Auflage.
Rechenzentrum der ehemaligen Luftbild- und Rechenstelle. Bild: DLR/TZ
Rückengetragene Pflanzenschutzspritze. Bild: Archiv DLR R-N-H (Fotosammlung)

Im Jahr 1923, also inmitten von Inflation und wirtschaftlicher Krise, wurden in Bingen und Oppenheim mustergültige Gutshäuser errichtet – nicht zuletzt ein Beleg für den wirtschaftlich hohen Stellenwert der Branche. 1975 wurde die Domänezentrale in Mainz aufgelöst. Die meisten Guts- und Kelterhäuser wurden verkauft und die verstreuten Weinbergsflächen weitgehend privatisiert. Lediglich die Lehranstalt in Oppenheim blieb bestehen und wurde durch Zukauf neuer Flächen erweitert. [Anm. 5] Auf Grundlage der rheinland-pfälzischen Agrarverwaltungsreform wurde im Jahr 2003 das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück geschaffen, in welchem die Lehr- und Versuchsanstalt aufging. [Anm. 6]

Aus den zahlreichen Verdiensten der Hessischen Weinbaudomäne und der Lehranstalt darf in besonderem Maße auf die Erfolge in der Klonenselektion und der Zucht reblausresistenter Unterlagsreben hingewiesen werden. Unter Direktor Heinrich Fuhr entstand 1912 die Unterlagsrebe SO4 („Selektion Oppenheim 4“), welche in Deutschland bis heute die wichtigste Unterlagensorte ist und auch in anderen Ländern Europas Anwendung findet. [Anm. 7] Das Konzept staatlicher Weinbaudomänen hat von Anfang an aber auch Kritiker hervorgerufen: Im Vordergrund stand hierbei, dass diese Weingüter nicht gewinnorientiert arbeiten mussten, aber als Produzenten und Verkäufer in Konkurrenz zu den regulären Winzern auftraten. [Anm. 8]

Bescheinigung zur Anpflanzung von Pfropfreben aus dem Jahr 1957 durch den Kommissar für Reblausbekämpfung und Wiederaufbau im Aufsichtsbezirk Rheinhessen. Bild: Sammlung Andreas Wagner
Bescheinigung zur Einfuhr aus dem Jahr 1957 durch den Kommissar für Reblausbekämpfung und Wiederaufbau im Aufsichtsbezirk Rheinhessen. Bild: Sammlung Andreas Wagner
Abschlusszeugnis der Oppenheimer Lehr- und Versuchsanstalt von 1906. Bild: Sammlung Willi Grünig

Urheberschaft

Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022

Literatur

  • Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz und Rheinhessen-Nahe-Hunsrück (Hrsg.): Unterlagensorten und Klone. Informationen für Winzer und Rebenpflanzguterzeuger. Neustadt a.d. W. und Oppenheim 2017. URL: www.dlr.rlp.de/Internet/global/Themen.nsf/EACE32A6B6FC893CC125811C00284B88/$FILE/Unterlagen_Klonenbroschuere_RLP.pdf (Zugriff: 21.07.2022).
  • Fuchß, Peter: Die Geschichte der rheinhessischen Weinbaudomäne Mainz. In: Geschichte der Domäne Mainz und der Staatsweingüter im südlichen Rheinland-Pfalz. Hrsg. v. Udo Bamberg [u.a.]. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 191), S. 45–118.
  • Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
  • Türk, Henning: Verwissenschaftlichung, Assoziierung, Verrechtlichung. Prozesse und Rahmenbedingungen des Weinbaus im deutschen Südwesten seit dem 19. Jahrhundert am Beispiel Rheinhessens. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 10–30 
     

Anmerkungen:

  1.   Die genaue Bezeichnung der Schule hat sich in über einem Jahrhundert mehrfach geändert. Seit 2003 wurde sie mit der Lehr- und Versuchsanstalt in Bad Kreuznach zum Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum fusioniert. Eine Übersicht über die Bezeichnungen findet sich in: Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum RNH: 1895-2020. 125 Jahre Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück. Bad Kreuznach, 2020, S. 17. URL: https://www.dlr-rnh.rlp.de/C1256EA7002BE0CB/CD7938A6F84A5029C125702D00367433/$FILE/Broschuere%20_125%20Jahre_DLR%20R-N-H.pdf (Aufruf: 14. Juni 2022). Zurück
  2.   Zur Einordnung: In der Weimarer Republik existierten vor dem Zweiten Weltkrieg sieben staatliche Weinbaudomänen (Hessen, Baden, fünf in Preußen). Die Hessische Weinbaudomäne Mainz war die zweitgrößte, im einem ansonsten sehr stark von Preußen dominierten Feld (preußische Domäneverwaltung Eltville: 137,5 Hektar, hessische Domäne Mainz: 82,5 Hektar, preußische Domäne Trier: 79 Hektar, badische Domäme Meersburg: 28,5 Hektar, preußische Domäne Niederhausen: 25 Hektar, preußische Domäne Marienthal: 25 Hektar, preußische Domäne Münster-Sarmsheim: 15 Hektar; vgl. hierzu Fuchß 2016, S. 57. Für eine vollständige Auflistung der 50 Einzellagen in zwölf Gemarkungen im Jahr 1920 vgl. Fuchß 2016, S. 66. Zurück
  3. Vgl. zur Gründung der Weinbaudomäne: Türk, Henning 2016, S. 15–16; Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 366. Die Ausstattung von Domäne und Schule war für die damalige Zeit vorbildlich, zeugte von der Bedeutung, die der Staat der Weinbranche entgegenbrachte, und wurde von den Zeitgenossen lobend hervorgehoben. Erster Direktor der Weinbauschule war Emmerich Mayer, welcher zuvor Weinbaulehrer des Landwirtschaftlichen Vereins in Rheinpreußen an der Mosel war; vgl. Fuchß 2016, S. 49–55 und S. 60.  Zurück
  4. Fuchß 2016, S. 59. Zurück
  5. Fuchß 2016, S. 61 und S. 89–91. Zurück
  6.   Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum RNH: 1895-2020. 125 Jahre Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinhessen-Nahe-Hunsrück. Bad Kreuznach, 2020, S. 5. URL: https://www.dlr-rnh.rlp.de/C1256EA7002BE0CB/CD7938A6F84A5029C125702D00367433/$FILE/Broschuere%20_125%20Jahre_DLR%20R-N-H.pdf (Aufruf: 14. Juni 2022). Zurück
  7. Türk, Henning 2016, S. 16–17; Die wichtigsten Eckdaten zur Rebsorte SO4 finden sich außerdem in einem Sorten-Steckbrief der Hochschule Geisenheim zusammengefasst; vgl. hierzu Selektion Oppenheim 4 (SO4). URL: https://www.hs-geisenheim.de/fileadmin/redaktion/FORSCHUNG/Institut_fuer_Rebenzuechtung/Ueberblick_Institut_fuer_Rebenzuechtung/Unterlagen/SO4.pdf (Zugriff: 14.06.2022). Die Rebmuttergärten der Domäne wurden in Bingen, Seeheim und in Heppenheim angelegt; vgl. hierzu Fuchß 2016, S. 76–77. Im Jahr 1960 entwickelte außerdem Anton Binstadt in Oppenheim einen im SO4-Unterlagenmuttergarten entdeckten Stock weiter, welcher 1979 Sortenschutz als Binova erhielt. Daneben gibt es noch weitere wichtige Unterlagsreben; vgl. Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz und Rheinhessen-Nahe-Hunsrück (Hrsg.): Unterlagensorten und Klone. Informationen für Winzer und Rebenpflanzguterzeuger. Neustadt a.d. W. und Oppenheim 2017. URL: https://www.dlr.rlp.de/Internet/global/Themen.nsf/EACE32A6B6FC893CC125811C00284B88/$FILE/Unterlagen_Klonenbroschuere_RLP.pdf (Zugriff: 21.07.2022). Zurück
  8. Türk, Henning 2016, S. 15. Zurück

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