Dieses historisches Kreuzgratgewölbe in Eich wird heute als Weinprobierstube genutzt. Im Jahr 1824 wurde das Gebäude als Kuhstall erbaut. Mehrere dieser sogenannten Kreuzgewölbeställe, auch Kuhkapellen genannt, entstanden im frühen 19. Jahrhundert. Die Maurermeister und Handwerker hatten durch das Verschwinden der Klöster und Kirchen ihre traditionellen Arbeitgeber verloren. Ställe waren damals ein wirtschaftliches Statussymbol und die Arbeitskraft günstig.
Dieses historisches Kreuzgratgewölbe in Eich wird heute als Weinprobierstube genutzt. Im Jahr 1824 wurde das Gebäude als Kuhstall erbaut. Mehrere dieser sogenannten Kreuzgewölbeställe, auch Kuhkapellen genannt, entstanden im frühen 19. Jahrhundert. Die Maurermeister und Handwerker hatten durch das Verschwinden der Klöster und Kirchen ihre traditionellen Arbeitgeber verloren. Ställe waren damals ein wirtschaftliches Statussymbol und die Arbeitskraft günstig.  Bild: Gabriele Röhle/Eicherin1987 (CC BY-SA 3.0)

Rheinhessen wird hessisch

Die Geburtsstunde der Provinz Rheinhessen

Der 8. Juli 1816 markiert die Geburtsstunde von Rheinhessen: Das linksrheinische Gebiet zwischen Worms, Alzey, Bingen und Mainz war nach dem Sieg über Napoleon Bonaparte im Wiener Kongress dem Großherzogtum Hessen zugesprochen worden. [Anm. 1] Ein Jahr später erhielt die Region ihren Namen. Die neue Provinz bildete den kleinsten Landesteil des hessischen Staats, dem sie bis 1937 angehörte.

Rheinhessen war zu Beginn des 19. Jahrhunderts überwiegend von vielen landwirtschaftlichen Kleinerzeugern, einigen mittelgroßen Betrieben und vereinzelten Großbetrieben geprägt. Dies war eine Neuerung, denn nur ein halbes Jahrhundert zuvor war die Hauptgruppe der Weinproduzenten noch geprägt von Personen, die im Nebengewerbe für den Eigenbedarf produzierten. Spezialisierte Weinbaubetriebe gab es hier allerdings im Gegensatz zum Rheingau noch kaum. [Anm. 2] Insgesamt verbesserte sich durch die Industrialisierung nun allerdings die wirtschaftliche Situation spürbar: Die Bevölkerung wuchs, die Löhne stiegen und neue landwirtschaftliche Methoden setzten sich durch. Gegen Ende des Jahrhunderts begann der schrittweise Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. [Anm. 3] Nur im Weinbau geschah noch lange Zeit vieles von Hand. [Anm. 4] Gleichzeitig existierten große Ertrags- und Verdienstschwankungen – auch Qualitätsunterschiede im Wein – je nach Ortschaft und individuellem Betrieb. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde zudem der Kampf gegen Schädlinge und andere Krankheiten ein Hauptthema der Winzerinnen und Winzer. Dennoch weitete sich der Weinanbau aufgrund der hohen Gewinnmargen von 1830 bis 1913 immer weiter aus: Die mit Reben bepflanzte Fläche in Rheinhessen stieg von 6,5 auf 10 Prozent an. Bessere Weine wurden nun an Großhändler versteigert, während die mittleren und schlechten eher im lokalen und regionalen Rahmen oder Eigengebrauch Verwendung fanden. [Anm. 5]

Wirtschaftliche Situation

„Der Weinbauer ist der unglücklichste unter allen Producenten, und man findet in der Regel, daß die Orte, welche nur Wein erzeugen, die ärmsten Gemeinden sind. Nur da ist eigentlicher Wohlstand, wo der Weinbau und der Ackerbau miteinander verbunden sind; denn der Weinbau für sich allein ist eine Lotterie. Der Weinbauer baut seinen Weinberg mit Schulden, mit Schulden düngt er ihn, mit Schulden kauft er die Pfähle, mit Schulden muß er sich die Fässer anschaffen, wenn der Wein einmal geräth.“

So die Stellungnahme des Mainzer Abgeordneten Joseph Glaubrech 1836 in der zweiten Kammer des Großherzogtums Hessen. Es darf – insbesondere aufgrund der Gegenreden – davon ausgegangen werden, dass der Abgeordnete hier bewusst das Negative hervorhob, denn es ging darum, eine mit den rechtsrheinischen Gebieten gleichhohe Weinbesteuerung in Rheinhessen zu verhindern. [Anm. 6]

Durch die Zugehörigkeit zum Großherzogtum Hessen kam Rheinhessen 1828 zum Zollverein mit Preußen, der 1829 mit dem württembergisch-bayerischen süddeutschen Zollverein und schließlich 1834 zum Deutschen Zollverein fusionierte. Der Absatz rheinhessischer Weine profitierte davon für einige Jahre erheblich, u. a. auf Kosten der Moselweine. [Anm. 7] Zudem wurde mit der sogenannten „Mainzer Akte“, einem Vertrag zwischen den Rheinuferstaaten Frankreich, Baden, Bayern, Hessen, Nassau, Preußen und den Niederlanden, im Jahr 1831 der Handel über den Rhein erheblich erleichtert. [Anm. 8]  

 „Wo der Pflug kann gehen, da soll kein Weinstock stehen“, mit diesem Sprichwort beschrieb Emil Schätzel aus Guntersblum in den 1890er Jahren die althergebrachte Einstellung in Rheinhessen. Gemeint war damit eigentlich, dass nur dort Wein angebaut werden sollte, wo das Land nicht besser für Ackerbau genutzt werden könnte. Passenderweise war er aber als junger Erwachsener auch einer der ersten, die sich trauten, tatsächlich mit dem Kartoffelpflug durch die Rebzeilen zu fahren. Er berichtet in seinen Memoiren von den rasanten technischen Weiterentwicklungen ab dieser Zeit. [Anm. 9] Der hessische Staat förderte damals durch gezielte Weinbaupolitik die Wirtschaft und investierte in die Infrastruktur der Provinz Rheinhessen.

Zu den wichtigsten rheinhessischen Persönlichkeiten der Zeit gehören zweifelsohne Heinrich von Mappes und Heinrich von Gagern. Der Mainzer Weinhändler von Mappes war Vizepräsident der Handelskammer und setzte sich bei Napoleon, der ihn zum Baron adelte, für die Belange der Weinhändler ein. Später war er Mitglied der ersten Kammer des Darmstädter Landtags und setzte sich dort und auf internationalen politischen Missionen für die Belange der rheinhessischen Winzerinnen und Winzer sowie der Rheinschifffahrt ein. [Anm. 10] Heinrich von Gagern war ein Monsheimer Gutsbesitzer und liberaler Oppositionspolitiker, der 1845 zum Präsidenten des Landwirtschaftlichen Vereins im Großherzogtum gewählt wurde. Später wurde er in der Frankfurter Nationalversammlung zu einer zentralen Figur der Revolutionsgeschichte. [Anm. 11]

Materialschlacht und Kriegswirtschaft

Mit dem Ersten Weltkrieg brach 1914 eine neue Epoche an. Zwar brachte 1915 noch eine gute Ernte im Weinbau, aber in der übrigen Landwirtschaft waren bereits Einbußen zu verzeichnen. Bald herrschte Arbeitskräftemangel und Kriegsgefangene wurden in den Weinbergen eingesetzt. Die Preise für Nahrungsmittel stiegen und das Verhältnis von Stadt und Land verschärfte sich nachhaltig aufgrund von Beschlagnahmungen und Rationierungen von Lebensmitteln. [Anm. 12] Durch das sogenannte „Hindenburgprogramm“ sollten 1917 landwirtschaftliche Betriebsleiter von der Front zurückgeführt werden, um dem Hunger zu begegnen – der oben zitierte Emil Schätzel aus Guntersblum war einer von ihnen – doch scheiterte die Initiative, da man mit dem Boden über mehrere Jahre „Raubbau“ betrieben hatte und es an Mineraldünger und vielen anderen Betriebsmitteln fehlte. [Anm. 13]

Historische Werbeanzeigen

In der Bildergalerie sehen Sie ausgewählte historische Werbeanzeigen. Im Original handelt es sich um vollseitige Anzeigen aus einem Führer zur Weinbau Ausstellung in Mainz 1913 anlässlich des 27. Deutschen Weinbaukongresses (1. Kongress des Deutschen Weinbauverbandes).

Bild: Stadtbibliothek Mainz (CC BY-NC-SA 3.0), URN: urn:nbn:de:0128-3-2977
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Bild: Stadtbibliothek Mainz (CC BY-NC-SA 3.0), URN: urn:nbn:de:0128-3-2990

Urheberschaft

Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022

Literatur

  • Clemens, Lukas/Matheus, Michael: Weinkeltern im Mittelalter. In: Europäische Technik im Mittelalter. Berlin 1998.
  • Die Mainzer Akte von 1831 - regionalgeschichte.net. URL: www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/pfeiffer-mainzer-akte-1831.html (Abgerufen: Donnerstag, 14. Oktober 2021 12:48:39.210Z).
  • Dietz-Lenssen, Matthias: Von edlen Reben und guten Tropfen. Ein Abriss der Weinbaugeschichte in Mainz. In: Mainz Vierteljahreshefte. (2005).
  • Gallé, Volker: Grabungen in Himmel und Erde. Rheinhessische Literatur von Hildegard von Bingen bis Heinz G. Hahs. In: Erlesenes aus Rheinhessen 2010. Bücher, Schreiber, Bibliotheken. [Festschrift für Michael Real]. Ingelheim 2010 (Veröffentlichungen der Bibliotheken der Stadt Mainz, Bd. 57), S. 9–17.
  • Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
  • Mahlerwein, Gunter: Wein und Politik. Rheinhessen im 19. Jahrhundert. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016, S. 31–43 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190).
  • Mathy, Helmut: Weinkultur in Mainz seit dem Mittelalter. Wiesbaden 1993 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 105).
  • Pfeiffer, Simeon: Die Entstehung des deutschen Zollvereins aus südwestdeutscher Perspektive, in: www.regionalgeschichte.net. URN: urn:nbn:de:0291-rzd-016579-20201812-4 
  • Pfeiffer, Simeon: Die Mainzer Akte von 1831. In: www.regionalgeschichte.net. URN: urn:nbn:de:0291-rzd-016581-20201812-9
  • Schäfer, Rudolf: Weinbau und Weinhandel in Kurmainz im 18. Jahrhundert. In: Festschrift Höchster Schloßfest 1981 (1981), S. 40–47.
  • Schätzel, Emil: [Lebenslauf]. Emil Schätzel, Guntersblum. *1878 ✝1964. Guntersblum.
  • Schlamp, Jacob: Die Weinjahre des 19. Jahrhunderts. Nebst einem Anhange "Nierstein und das Weinbuch von W. Hamm". Wiesbaden 1879.

Anmerkungen:

  1. Anfangs beäugte man die politische Loyalität des ehemals französischen Rheinhessens auf schärftste. Der Binger Notar Hermann Josef Faber (1767-1851) soll 1816 von Kaiser Franz II. gefragt worden sein, welcher Geist unter dem Volk herrsche. Dieser antwortete in Bingen herrsche gar kein Geist - nur der Weingeist; vgl. hierzu Gallé, Volker 2010, S. 9. Zurück
  2. Im späten 18. Jahrhundert machte die mit Rebflächen bepflanzte Agrarfläche 3 Prozent aus, im Mainzer Umland etwa 5 Prozent. Im Jahr 1833 waren noch 22 Gemeinden in Rheinhessen komplett ohne Weinbau, 1862 noch 18 Gemeinden, um 1900 nur noch 4 Gemeinden; vgl. hierzu Mahlerwein, Gunter 2016, S. 32–33. Dennoch war der Weinbau ein lukratives Unterfangen und konnte auf immer kleiner werdenden Flächen die wirtschaftliche Existenz sichern. In der Zeitschrift „Der Compaß. Archiv für das gesamte Gebiet der Volkswirthschaft“ lässt sich 1859 (Bd. III, Nr. 1, S. 1f.) lesen: „Was in vielen Fällen dem Ackerlande an Umfang fehlt, um die Familie zu ernähren, das ersetzt der Keller“; zitiert nach Mahlerwein, Gunter 2016, S. 33. Zurück
  3. Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 168–172. Zurück
  4. Einzelne Neuerung, wie die Traubenmühle, die sich in Rheinhessen um 1900 durchsetzte, brachten jedoch erhebliche Vorteile; Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 173–175. Die Traubenmühle war bereits spätestens seit dem 18. Jahrhundert in den südlichen und westlichen Weinbaugebieten Europas bekannt, man hielt aber dennoch vielerorts parallel am Austreten der Trauben fest; vgl. hierzu Clemens, Lukas/Matheus, Michael 1998, S. 133. Zurück
  5. Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 173–175. Zurück
  6. Mahlerwein, Gunter 2016, S. 38, dort Verweis auf: Verhandlungen der zweiten Kammer der Landstände des Großherzogthums Hessen 1835/36, Beilagen Dritter Band, Darmstadt 1836, Beilage Nr. 330 zum 94. Protokoll, Rede des Abgeordneten Prätorius, S. 1-8. Zurück
  7. Mahlerwein, Gunter 2016, S. 39–40; Pfeiffer, Simeon: Die Entstehung des deutschen Zollvereins aus südwestdeutscher Perspektive, in: www.regionalgeschichte.net. URN: urn:nbn:de:0291-rzd-016579-20201812-4. Jacob Schlamp berichtet aus Nierstein, dass Weine teilweise um das Doppelte und mehr veräußert wurden. Erst nach dem Beitritt Nassaus und Badens mit ihren Weinbaugebieten, normalisierten sich die Preise 1835; vgl. hierzu Schlamp, Jacob, 1879, S. 21–22 und 38. Zurück
  8. Die Zölle an den Ufern des Rheins waren bereits zuvor durch die Rheinschifffahrtskonvention von 1804 reduziert worden; vgl. hierzu Mathy, Helmut, 1993, S. 20. Neue Verhandlungen begannen im Nachgang des Wiener Kongresses 1814/15. Nach 15 Jahren Verhandlungen wurden mit dem Mainzer Vertragswerk alle Stapelrechte abgeschafft, Schiffahrtsgilden aufgelöst, Rangfahrten wurden freiwillig und zahlreiche öffentlich-rechtliche Regelungen für die Berufsausbildung und den fairen und sicheren Handelsverkehr wurden geschaffen. Die Schweiz war wegen inneren Angelegenheiten nicht an den Verhandlungen beteiligt, näherte sich jedoch später an. 1868 wurde der Vertrag als Mannheimer Akte erneuert. Heute ist die Organisation unter dem Namen „Zentralkommission für die Rheinschifffahrt“ in Straßburg verortet; vgl hierzu Pfeiffer, Simeon: Die Mainzer Akte von 1831. In: www.regionalgeschichte.net. URN: urn:nbn:de:0291-rzd-016581-20201812-9 Zurück
  9. Schätzel, Emil, S. 23–24. Zurück
  10. Mahlerwein, Gunter 2016, S. 36; Mathy, Helmut, 1993, S. 17–19. Zurück
  11. Mahlerwein, Gunter 2016, S. 41. Zurück
  12. Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 254. Zurück
  13. Schätzel, Emil, S. 55. Zurück

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