Flurbereinigung
Neuvermessung und -aufteilung der Landwirtschaftsflächen
Im südlichen Deutschland war seit dem Mittelalter die Realteilung das vorherrschende Erbschaftsrecht in der Landwirtschaft – so auch in Rheinhessen. Realteilung bedeutet, dass das Erbe unter allen Berechtigten gleich aufgeteilt wird. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Verfahren durch Napoleon und den Code Civil bestätigt. [Anm. 1] Die einzelnen Parzellen wurden durch dieses Verfahren jedoch stetig kleiner, bis es sich kaum noch lohnte, sie zu bewirtschaften. Die daraus resultierende wirtschaftliche Not machte Lösungen erforderlich.
In Rheinhessen gab es unterschiedliche praktische Ausprägungen der Realteilung. Es existierten bereits in Teilen Mischformen und Übergangsformen, wie beispielsweise Verpachtung oder Verkauf von Grundstücken innerhalb der Erbengemeinschaft. [Anm. 2] Seit den 1880er Jahren versuchte man erstmals mit behördlichen Maßnahmen, die aus der Realteilung resultierende Situation mittels staatlicher Flurbereinigung zu verbessern. [Anm. 3]
Unter Flurbereinigungen versteht man üblicherweise die Zusammenlegung und den Flächentausch mit dem Zweck, weniger, dafür aber größere, zusammenhängende und besser nutzbare Grundstücke zu erhalten. Zu dieser Hauptbestrebung gesellten sich im 20. Jahrhundert immer weitere Nebenziele: Hierzu zählen Boden-, Natur- und Klimaschutz, Wegebau und Bodenverbesserung sowie öffentliche Belange, wie Landentwicklungsprojekte und Infrastrukturmaßnahmen. [Anm. 4] Flurbereinigungsmaßnahmen beschränkten sich dabei nicht auf eine Neuordnung des Grundbuchs, sondern gingen in aller Regel einher mit einer Umgestaltung der Landschaft. [Anm. 5]
Mit dem Weinbergsaufbaugesetz vom 12. Mai 1953 widmeten sich die Maßnahmen im neugeschaffenen Bundesland Rheinland-Pfalz erstmals gezielt der Flurbereinigung von Weinbergen. [Anm. 6] Mit einer Wiederaufbaukasse – auch „Reblauskasse“ genannt – unterstützte der Staat mit Zuschüssen und Darlehen den planmäßigen Wiederaufbau der Reblandschaft. Das Hilfsangebot war verbunden mit der Verpflichtung, sich an Neuvermessung und Flurbereinigung zu beteiligen. [Anm. 7]
Im Weinbau setzte die Technisierung erst später ein als in der übrigen Landwirtschaft. In den 1980er Jahren existierte daher im nationalen Vergleich in Rheinhessen und ganz Rheinland-Pfalz noch großer Nachholbedarf. [Anm. 8] Durch Konkurrenz mit Flachlagen im In- und Ausland war die Flurbereinigung mittlerweile für viele Winzer zur Existenzfrage geworden. Durch die Reduktion an Arbeitszeit und Maschinenkosten versprach man sich Einsparungen von bis zu 50 Prozent, vor allem in den Steil- und Hanglagen. [Anm. 9] Allerdings konnten nicht alle gleichermaßen profitieren: Während Haupterwerbswinzer oft ihre Zukunftschance sahen, gaben Nebenerwerbswinzer vermehrt auf und verkauften. [Anm. 10]
In der sanften Hügellandschaft Rheinhessens war möglicherweise die erwartete Arbeitsersparnis nicht groß genug, denn die hiesigen Winzerinnen und Winzer standen der Flurbereinigung häufig ablehnend gegenüber – in vielen Dörfern unserer Region fand daher bisher keine umfassende staatliche Bereinigung der Weinbergsfluren statt. [Anm. 11]
Der erste rheinhessische Weinbauort, dessen Flur auch mit Rücksicht auf landschaftspflegerische Gesichtspunkte bereinigt wurde, war Guntersblum. 1973 stellten 43 der 72 hauptamtlich Weinbautreibenden einen entsprechenden Antrag. Die Zersplitterung des Besitzes, jährlich tiefer absinkende Hohlwege und eine ungeregelte Wasserführung waren die drängendsten Probleme. [Anm. 12] Nachdem die Gegner des Projekts juristisch keinen Erfolg hatten, einigte man sich in konstruktiver Zusammenarbeit auf einen auf 18 Jahre angelegten Plan. Solch lange Zeiträume waren im Weinbau notwendig, um zu jeder Zeit zumindest eine Teilernte sicherzustellen, wenn der nächste Flurbereinigungsabschnitt geräumt wurde. [Anm. 13] Das Zusammenspiel aus wirtschaftlichen und landespflegerischen Aspekten der Guntersblumer Weinbergsflurbereinigung war ein Erfolg und wurde zum Maßstab für weitere Verfahren in ganz Rheinland-Pfalz. [Anm. 14]
Eine Besonderheit von Guntersblum ist der Kellerweg mit früher ca. 100 in Löss (Sedimentgestein) gegrabenen Kammern, die vielfach miteinander in Verbindung stehen. Erst beim Bohren von Entlüftungsschächten fiel mitunter auf, dass man bereits unter fremden Grundstücken angelangt war. Auch diese rechtlich unsichere Situation konnte im Rahmen der Flurbereinigung gelöst werden. [Anm. 15]
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
- Bley, Hartwig: Das Erbrecht nach den Urteilen des Ingelheimer und des Neustadter Oberhofs, 1977.
- Diehl, Dennis: Reblausbekämpfung und Flurbereinigung. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 69–82.
- Flurbereinigung - Auftrag auch für die Landschaft. Mainz 1982.
- Kroeschell, K.: Erbrecht, Erbe, Erbschaft. Germanisches und deutsches Recht. In: Lexikon des Mittelalters. Codex Wintoniensis bis Erziehungs- und Bildungswesen. München 1986 (Lexikon des Mittelalters, Bd. 3).
- Lorig, Axel: Felix Zillien – 80 Jahre alt – Ansprache zur Feier. In: Landentwicklung und ländliche Bodenordnung, Heft 49 (2009). Online unter: www.edoweb-rlp.de/resource/edoweb:7002878/data (Zugriff: 26.01.2022).
- Ritscher, Edmund: 1200 Jahre Weinbau in Ibersheim. In: Worms. Heimatjahrbuch für die Stadt Worms. Arbeitswelten - Lebenswelten. Worms 2008 (Worms, Bd. 3).
- Stanjek, Ulrich: Aspekte der Kulturlandschaftsentwicklung in Sonderkultur-Gemeinden am oberen Mittelrhein unter besonderer Berücksichtigung von rezenten Brache- und Wüstungsphänomenen. Mainz 2000.
- Weinert, Franz: Rebenaufbaugebiet/Rebflurbereinigung im Heimbachtal. In: Heimatjahrbuch Landkreis Mainz-Bingen. 45. Idar-Oberstein 2001, S. 183-185.