Alte Rebsorten
Forschungsstand, Verbreitung, Neuzüchtungen
Eine häufige Frage im Bereich der Weinbaugeschichte ist die Frage nach alten Rebsorten: die historische Ampelographie. Es ist zugleich, je weiter man zurückblickt, eines der am schwierigsten zu erforschenden Themenfelder: Unsere Vorfahren sahen nur selten eine Notwendigkeit, die lokal angebaute Rebsorte zu dokumentieren – diese war schließlich ausreichend bekannt. Die uns überlieferten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen benennen daher häufig nur das Besondere: Hierzu zählen beispielsweise die Anpflanzung einer neuen oder ungewöhnlichen Rebsorte oder von weither importierte Weine. Für eine etwaige Ersterwähnung des Rieslings bei Worms 1402, die für Rheinhessen hin und wieder angeführt wird, konnte allerdings kein Beleg ermittelt werden. [Anm. 1]
In Deutschland sind heute 303 Traubensorten namentlich zur Weinerzeugung zugelassen. [Anm. 2] Insgesamt geht man von der Existenz von etwa 10.000 bis 12.000 Sorten aus. [Anm. 3] Die demgegenüber vergleichsweise wenigen angebauten Sorten besitzen zahlreiche Synonyme, die sich vor allem in historischen Dokumenten nicht immer eindeutig zuordnen lassen. Im Mittelalter unterschied man im deutschsprachigen Raum hauptsächlich zwischen zwei Gruppen: Hunnisch und Fränkisch. Für beide Namen gab es zahlreiche Synonyme und dialektale Varianten. Die fränkischen Reben sollen üblicherweise die hochwertigeren Weine hervorgebracht haben, während der Hunnische ein Masseträger war. Über die Interpretation des Begriffspaars und Zuordnungen von spezifischen Rebsorten wurde in der Forschung über Jahrhunderte hinweg diskutiert – auch über die Frage, ob es sich überhaupt um Sortenbezeichnungen handelt. Heute geht man davon aus, dass unter den hunnischen Weinen in den allermeisten Fällen tatsächlich eine Rebsorte, nämlich Heunisch zu verstehen ist. [Anm. 4] Genetische Herkunftsverortungen und mittlerweile nachweisbare Verwandtschaftsverhältnisse mit mehr als 100 bekannten Sorten untermauern diese Interpretation als Ur-Sorte. Welche Sorte oder welche Sorten sich möglicherweise hinter dem Begriff Fränkisch verbergen, ist noch nicht abschließend geklärt: Traminer und Pinot-Sorten, möglicherweise Grauburgunder (Pinot gris), gelten als wahrscheinliche Kandidaten. [Anm. 5]
Erst seit der Mitte des 18. Jahrhundert und der langsam einsetzenden wissenschaftlichen Beschreibung der Arbeitspraxis finden sich in Rheinhessen systematische Beschreibungen von angebauten Rebsorten. Riesling und „Hartheinste“ (Orleans) galten als die qualitativ hochwertigen Sorten der rheinhessischen Rheinhänge. In weniger guten Lagen griff man hingegen allgemein auf „Weißalben“ (Elbling), Trollinger, Veltliner oder „schwarzen Welscher“ zurück. [Anm. 6] Welche Sorte unter den beiden zuletzt genannten heute verstanden werden darf, ist interpretationswürdig. Für die 1830er Jahre ist der Rebensatz in unserer Region, dank der umfangreichen Forschungstätigkeit von Johann Philipp Bronner, systematisch dokumentiert:
- In der Umgebung von Worms wurde überwiegend Riesling angebaut, westlich davon „Österreicher“ (Silvaner). [Anm. 7]
- Bei Gundersheim sowie rund um Ingelheim bis „Sauerschwabenheim“ (Schwabenheim an der Selz) war die gleiche Burgundersorte verbreitet. Diese Sorte nannte man allerdings in Gundersheim „Schwarzer Riesling“ und in der Ingelheimer Region „Klebrot“.
- In der Gegend um Nierstein baute man Riesling, Orleans und Silvaner an.
- Die Umgebung von Oppenheim und Dienheim war Bronner zufolge „eine wahre Musterkarte“, da hier alle erdenklichen Sorten nebeneinanderstehen würden. Dominierend waren jedoch Riesling und Silvaner.
- Zwischen Nackenheim und Mainz war nur noch Silvaner verbreitet, wobei die Mainzer „Forenser“, also wohlhabende Mainzer Grundbesitzer, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft oft auch fremde Sorten erprobten.
- Südlich von Bingen und rund um den Scharlachberg standen Riesling, Orleans und etwas „Kleinberger“ (Elbling) in den Weinbergen.
- In der Umgebung des Petersbergs bis in den Ingelheimer Grund, also im ganzen Bereich etwa zwischen Gau-Odernheim und Jugenheim, wurde hauptsächlich „Kleinberger“ (Elbling) angebaut. [Anm. 8]
Im 19. Jahrhundert galten Riesling und Traminer als die wichtigen Sorten für gute Lagen, Elbling und Silvaner für die etwas schlechteren Lagen. Der Trend für Neupflanzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging bei den Weißweinen zu Silvaner und etwas Riesling, bei den wenigen roten Sorten zu Burgunder und Portugieser. [Anm. 9] Der Anfang des 20. Jahrhunderts markiert dank staatlich geförderter Züchtung und Klonselektion eine Sorten-Revolution, womit entscheidende Weichen für den heutigen Qualitätsweinbau gestellt wurden. [Anm. 10] Maßgeblich daran beteiligt war die Landesanstalt für Rebenzüchtung in Alzey unter der Leitung von Georg Scheu (1879-1949), nach dem die heutige Scheurebe benannt ist. [Anm. 11] Seit Ende der 1980er Jahre fand im Zuge einer allgemeinen Neubewertung von Qualitätsanbau und Konsum eine erneute Sortimentsverschiebung statt: Riesling übernahm bei den Weißweinen die Führung. Bei den roten Sorten, die nun insgesamt zulegten, trat der vorher fast unbekannte Dornfelder in den Vordergrund. [Anm. 12] Seine Vormachtstellung ist in jüngster Vergangenheit wieder leicht rückläufig. [Anm. 13]
Gemischter Satz
Es spricht manches dafür, dass im Mittelalter und der Frühen Neuzeit bis weit ins 19. Jahrhundert die meisten Weinberge nicht „sortenrein“ mit einer Rebe bestückt waren. Stattdessen standen verschiedene Rebsorten nebeneinander im sogenannten „Gemischten Satz“. Während sich große Weingüter eine gestaffelte mehrfache Lese nach Rebsorte, Reife- oder Fäulnisgrad erlauben konnten, war dies den meisten Weinbauern nicht möglich – allein schon, da die Lesetermine oft im Kontext von Abgabepflichten vorgegeben wurden. Dies stand qualitativem Weinbau entgegen: Spätes Lesen war unmöglich. In der Forschung wird daher seit langem diskutiert, wie verbreitet der Gemischte Satz wirklich war. Je weiter der Blick zeitlich zurückreicht, desto weniger kann mit Sicherheit gesagt werden. Auch regionale Unterschiede dürfen nicht ausgeblendet werden. Für Rheinhessen besitzen wir ab dem 18. und 19. Jahrhundert die Aufzeichnungen von Zeitzeugen wie Johann Philipp Bronner, der jedenfalls in den 1830ern noch die „sieben verschiedenen weißen und roten früh und spätreifen Sorten, die teilweise gleichzeitig geerntet wurden“ heftig kritisierte. Die Art und Weise seiner Kritik lässt darauf schließen, dass der Gemischte Satz in anderen Regionen weniger verbreitet war. Die Zusammensetzung der Rebsorten war bei alledem nicht willkürlich: Es existierten in der zeitgenössischen Ratgeber-Literatur Vorschläge für gute Mischungsverhältnisse und auch Reben mit ähnlichen Reifezeitpunkte zu wählen, war als Kriterium zumindest bekannt. [Anm. 14]
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
- Bauer, Ottmar/Thomann, Wolfgang: Georg Scheu (1879-1949). In: Persönlichkeiten der Weinkultur. URL: www.geschichte-des-weines.de/index.php (Zugriff: 14.07.2022)
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- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Liste der in Deutschland zugelassenen Rebsorten. URL: www.ble.de/DE/Themen/Landwirtschaft/Wein/Liste-Rebsorten/Rebsorten_inhalt.html (Zugriff: 12.07.2022)
- Dietz-Lenssen, Matthias /. 1954: Die "Rotweinstadt" Ingelheim am Rhein und das Weingut J. Neus. In: Wo aber der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens. Mainz 2015, S. 218-231.
- Graff, Dieter: Die deutsche Weinwirtschaft in den 1930er Jahren. Wiesbaden 2011 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 171).
- Keil, Hartmut/Zillien, Felix: Der deutsche Wein 1930 bis 1945. Eine historische Betrachtung. Dienheim 2010.
- Krämer, Christine: Rebsorten in Württemberg. Herkunft Einführung Verbreitung und die Qualität der Weine vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert, 2006 (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte, Bd. 7).
- Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
- Mathy, Helmut: Weinkultur in Mainz seit dem Mittelalter. Wiesbaden 1993 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 105).
- Schätzel, Otto: Rheinhessen - Weinregion mit Tradition. In: Rheinhessen- Identität- Geschichte- Kultur. Vorträge zum 10. Alzeyer Kolloquium des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. in Zusammenarbeit mit dem Altertumsverein für Alzey und Umgebung e.V. und der Arbeitsgemeinschafts Rheinhessische Heimatforscher e.V. sowie ergänzende Beiträge zur rheinhessischen Geschichte. Hrsg. v. Franz J. Felten [u.a.]. Stuttgart 2016 (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 72), S. 93–100.
- Schumann, Fritz: Der Weinbaufachmann Johann Philipp Bronner (1792 - 1864) und seine Zeit. Wiesbaden 1979 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 50).
- Staab, Josef: Beiträge zur Geschichte des Rheingauer Weinbaus. Wiesbaden 1970 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 22).
- Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Faltblatt Landwirtschaft und Weinbau 2022. URL: www.statistik.rlp.de/fileadmin/dokumente/kurzinformationen/FB_Landwirtschaft_und_Weinbau_2022.pdf (Zugriff: 10.10.2022).
- Uytven, Raymond van: Der Geschmack am Wein im Mittelalter. In: Weinproduktion und Weinkonsum im Mittelalter. Hrsg. v. Michael Matheus. Stuttgart 2004 (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 51).
- Volk, Otto: Weinbau und Weinabsatz im späten Mittelalter. Forschungsstand u. Forschungsprobleme. In: Weinbau, Weinhandel und Weinkultur (1993).
- Weber, Andreas Otto: Weinbau, Weinhandel und Weinkonsum diesseits und jenseits der Alpen in Mittelalter und Früher Neuzeit. In: Schwaben und Italien (2010), S. 133–152.
- Weinbau-Verein der Provinz Rheinhessen (Hrsg.): Die Rheinweine Hessens. Eine Beschreibung der einzelnen Weinbaugemarkungen mit zahlreichen Abbildungen und einer Weinbaukarte. Mainz 1910.
- Zilien, Felix: Vortrag vor den Pfeddersheimer Weinfreunden am 12.11.2011 zu einer internationalen Rieslingweinprobe. Unveröffentlichtes Manuskript.