Ein rheinhessischer Winzer mit Schlepper in maschinenfreundlichen, modernen Rebzeilen.
Ein rheinhessischer Winzer mit Schlepper in maschinenfreundlichen, modernen Rebzeilen.  Bild: Harald Lueder / Shutterstock.com

Eine neue Epoche

Das Zeitalter von Traktor und Supermarkt

Die Nachkriegszeit erforderte von den Winzerinnen und Winzern große Kraftanstrengungen. Durch Krieg und Reblaus zerstörte oder durch Nichtbearbeitung vernachlässigte Weinberge mussten neu aufgebaut werden. Auch der Hungerwinter 1946/47 im ersten Jahr nach Kriegsende war verheerend für die Branche. Die in den Vorkriegsjahren bis 1937 auf 15.130 Hektar angestiegene Rebfläche sank im Verlauf des Krieges bis 1945 auf 12.300 Hektar. [Anm. 1] Die verbleibende rheinhessische Weinernte musste zu sehr günstigen Festpreisen an Frankreich abgegeben werden. [Anm. 2]

Zentrale Weichen für die Zukunft des rheinhessischen Weinbaus im Kontext der Globalisierung wurden spätestens 1951 gestellt, als Deutschland nach langen Verhandlungen offiziell dem allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen „GATT“ beitrat. Dieses bildete die Basis für die spätere Welthandelsorganisation WTO und stand für den verpflichtenden, weltweiten Abbau von Handelshemmnissen. [Anm. 3] Dadurch entstanden neue Absatzmärkte, aber es stieg auch der Konkurrenzdruck durch ausländische Importe. [Anm. 4] Vor diesem Hintergrund wurde der Wiederaufbau im deutschen Weinbau nicht als ausschließliche Wiederherstellung der historischen Strukturen vorangetrieben, sondern wurde von staatlicher Seite stets an eine Neuaufstellung der Branche gekoppelt. 

Ende der 1950er Jahre begann in Rheinhessen ein struktureller Wandel in der gesamten Landwirtschaft. Die durchschnittliche Betriebsgröße stieg erst langsam von 4 Hektar auf 5 Hektar im Jahr 1960, dann immer schneller auf 10 Hektar im Jahr 1990 und 25,9 Hektar im Jahr 2010 (darunter 8,98 Hektar Rebfläche). Die Zahl der Betriebe, die Weinbau betreiben, konsolidierte sich von 23.496 Betrieben im Jahr 1907 auf 13.115 Betriebe im Jahr 1957 und auf 2.394 im Jahr 2019. Die jeweils bewirtschaftete Rebfläche stieg hingegen auf durchschnittlich 11,34 Hektar. Nur ungefähr ein Drittel der Betriebe zählt noch zu den Kleinbetrieben mit weniger als 5 Hektar bestockter Rebfläche. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts traf dies auf etwa 80 Prozent der Weinbauern in Rheinhessen zu. [Anm. 5] Auch der Charakter der Betriebe änderte sich: Vom familiären Mischbetrieb, häufig im Nebenerwerb, zu spezialisierten und hauptberuflichen Weinbaubetrieben. [Anm. 6]

Die Weinberge wurden durch zahlreiche biologische, chemische und technische Weiterentwicklungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer produktiver bewirtschaftet. Der Hektarertrag stieg um ein Fünffaches. [Anm. 7] Gleichzeitig sank die Arbeitslast, wodurch immer größere Flächen immer schneller bearbeitet werden konnten. Der 1951 vorgestellte und 1954 zur Serienreife entwickelte Schmalspurschlepper feierte im Verlauf des folgenden Jahrzehnts seinen Siegeszug. Vielfach folgten Bestrebungen, längere und maschinengerechtere Weinbergszeilen zu schaffen. Die Schleppertechnik wurde in der Folgezeit mehrfach weiterentwickelt. [Anm. 8] Auch in der Bodenbearbeitung, Schädlingsbekämpfung und allen anderen wesentlichen Arbeitsschritten setzte sich die Technisierung allmählich durch – wenn auch, wegen der langen Umstellungszeit, etwas langsamer im Vergleich zur übrigen Landwirtschaft.

Innovationen in Technik und Vermarktung

Eine wirtschaftlich wie symbolisch wichtige Innovation setzte um 1980 ein: Selbst die Ernte konnte nun durch den zuvor in der Lehr- und Versuchsanstalt Oppenheim erprobten Vollernter übernommen werden, wo es die Geländebeschaffenheit zuließ und die Rebflächen entsprechend umgestellt waren. Das Generationen übergreifende gemeinschaftliche Ernten verschwand weitgehend aus dem ländlichen Alltag. Während 1950 etwa 1.000 bis 1.200 Arbeitsstunden für einen Hektar Weinberg benötigt wurden, waren es 1994 nur noch 300 bis 400 Stunden. Die Flurbereinigung und der damit verbundene Wegebau steigerten die Arbeitseffizienz zusätzlich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kann von ungefähr 100.000 Arbeitskräften im rheinhessischen Weinbau ausgegangen werden. Im Jahr 2010 arbeiteten in ganz Rheinhessen – bei mehr als doppelter Rebfläche – nur noch 12.000 Personen, davon mehr als die Hälfte Familienfremde und nur ein Viertel ständig beschäftigt. An die Stelle von Nachbar- und Schülerschaft traten im Kontext der europäischen Arbeitnehmer-Freizügigkeit immer häufiger osteuropäische Saisonarbeiter. [Anm. 9] Kleinere Betriebe gaben nicht selten auf oder schlossen sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts häufig zu Winzergenossenschaften zusammen, um mit diesen zahlreichen Neuentwicklungen, die oft kostspielige Investitionen voraussetzten, Schritt halten zu können.

Neben der Arbeitspraxis änderte sich auch das Verhältnis von Weinerzeugern und Weinkonsumenten. Dank der Motorisierung und dem Aufkommen von Supermärkten entwickelte sich seit den 1960er Jahren ein direkter Handel zwischen den genannten Parteien. Obwohl der Absatz stieg, ging die Zahl der Weinhändler hierzulande immer weiter zurück. [Anm. 10] Das Selbstverständnis der Winzerinnen und Winzer gegenüber dem eigenen Produkt wandelte sich: Der eigene Ausbau der Trauben zum Wein, die Abfüllung auf Flaschen und allgemein die Direktvermarktung etablierte sich in Rheinhessen im Vergleich mit benachbarten Anbaugebieten spät, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zumindest für einen Teil der eigenen Produktion. Das Gros der rheinhessischen Weinerzeugnisse wird auch heute noch als Fasswein gehandelt. [Anm. 11] Insbesondere an den Rheinterrassen, im Wonnegau und in einzelnen namhaften Gemeinden erhielt die Direktvermarktung seit den 1960er und 70er Jahren erheblichen Auftrieb. [Anm. 12]

Urheberschaft

Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022

Literatur

  • Currle, Otto: Die Weinvermarktung in Rheinhessen unter besonderer Berücksichtigung des Landkreises Alzeys-Worms. In: Heimatjahrbuch Landkreis Alzey-Worms, Bd. 21 (1986), S. 41–44.
  • Diehl, Dennis: Reblausbekämpfung und Flurbereinigung. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 69–82.
  • Domscheit, Franziska: Der Mainzer Weinhandel im 19. und 20. Jahrhundert. In: Mainz und der Wein (2016).
  • Fuchß, Peter: Die Geschichte der rheinhessischen Weinbaudomäne Mainz. In: Geschichte der Domäne Mainz und der Staatsweingüter im südlichen Rheinland-Pfalz. Hrsg. v. Udo Bamberg [u.a.]. Wiesbaden, Privatdruck für die Mitglieder der Gesellschaft für Geschichte des Weines e.V, 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 191).
  • Keil, Hartmut/Zillien, Felix: Der deutsche Wein 1930 bis 1945. Eine historische Betrachtung. Dienheim, 2010.
  • Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
  • Nordblom, Pia: "Die Brücke von flüssigem Gold". Weinbau in Rheinhessen in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 44–68.
  • Schätzel, Emil: [Lebenslauf]. Emil Schätzel, Guntersblum. *1878 ✝1964. Guntersblum.
  • Schätzel, Otto: Rheinhessen - Weinregion mit Tradition. In: Rheinhessen- Identität- Geschichte- Kultur. Vorträge zum 10. Alzeyer Kolloquium des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e.V. in Zusammenarbeit mit dem Altertumsverein für Alzey und Umgebung e.V. und der Arbeitsgemeinschafts Rheinhessische Heimatforscher e.V. sowie ergänzende Beiträge zur rheinhessischen Geschichte. Hrsg. v. Franz J. Felten [u.a.]. Stuttgart 2016 (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 72), S. 93–100.
  • Stanjek, Ulrich: Aspekte der Kulturlandschaftsentwicklung in Sonderkultur-Gemeinden am oberen Mittelrhein unter besonderer Berücksichtigung von rezenten Brache- und Wüstungsphänomenen.
  • Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Historische Statistik. Mainz 2012 (Kreuz – Rad – Löwe, Bd. Bd. 3).
  • Steinschulte, Marianne: Der Deutsche Fassweinmarkt – Eine Warenstromanalyse der Fassweintransporte in Rheinland-Pfalz. 2015. URL: oiv.edpsciences.org/articles/oiv/pdf/2015/01/oiv2015_07005.pdf (Zugriff: 13.07.2022)
  • Weinwirtschaftsbericht. Rheinland-Pfalz, Deutschland und die Welt. Mainz 2010.
     

Anmerkungen:

  1. In ganz Rheinland-Pfalz wurde der Schaden an den Rebstöcken während des Zweiten Weltkriegs auf 7,2 Millionen Reichsmark beziffert. Durch die Nichtbearbeitung entstand ein Schaden von 300 Millionen Reichsmark (der gesamte Schadenswert an Nutzflächen und Gebäuden wurde auf 391 Millionen Reichsmark geschätzt). Bei den Rebflächen selbst wurde durch aktive Kampfhandlungen nur ein kleiner Bruchteil von 360 Hektar zerstört – die Nichtbekämpfung der Reblaus, ein Arbeitsmaterial- und Arbeitskräftemangel, erhebliche Anbaubeschränkungen mit dem Ziel der Qualitätssteigerung sowie durch Nahrungsmittelknappheit motivierte Umwidmungen von Rebflächen oder Anlage von Unterkulturen waren die hauptsächlich verantwortlich; vlg. hierzu Diehl, Dennis 2016, S. 77 und Keil, Hartmut/Zillien, Felix, 2010, S. 56. Zurück
  2.  Betroffen waren die Jahrgänge 1945, 1946 und 1947 (bis zur Einführung der DM 1948) und dabei vor allem die kleineren und mittleren Weine. Aus Perspektive der Zeitgenossen handelte es sich um Beschlagnahmungen; vgl. hierzu Schätzel, Emil, S. 70–71. Zurück
  3.   GATT entstammt der englischen Bezeichnung „General Agreement on Tarrifs and Trade”; vgl. hierzu Bekanntmachung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Protokolls von Torquay und des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) vom 5. Oktober 1951. URL: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl251s0200.pdf (Zugriff: 12.07.2022). Zurück
  4. Diehl, Dennis 2016, S. 81–82. Um dem Konkurrenzdruck entgegenzuwirken und um die Kulturlandschaften in traditionellen Weinbaugemeinden zu erhalten, wurde 1976 auf EU-Ebene der sogenannte „Anbaustopp“ verordnet (und anschließend immer wieder verlängert), was die Ausbreitung des Weinbaus seitdem in erheblichem Maße regulierte. Zurück
  5. Der überwiegende Teil der hier zur einfachen Vergleichbarkeit bei den Kleinbetrieben mitinbegriffenen Betriebe, hatte damals sogar nur weniger als einen Hektar zur Verfügung (sogenannte Parzellenbetriebe); vgl. hierzu Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 363 und S. 365; Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz 2012, S. 142; Fuchß, Peter, S. 49-50; Rheinhessenwein e.V. (Hrsg.): Daten und Fakten. Rheinhessen in Zahlen. URL: https://www.rheinhessen.de/daten-und-fakten (Zugriff: 10.10.2022); Weinwirtschaftsbericht 2010, S. 62. Zurück
  6. Schätzel, Otto 2016, S. 95–96. Zurück
  7. Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 366. Zurück
  8. Allradantrieb, Knicklenkug, Niederdruckreifen und Kettenantrieb; vgl. hierzu Stanjek, Ulrich, S. 30. Zurück
  9. Stanjek, Ulrich, S. 30–31; Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 365-367. Zurück
  10. Domscheit, Franziska, S. 45. Zurück
  11. Im Jahr 1920 verkauften die meisten rheinhessischen Winzerinnen und Winzer noch direkt ihre geernteten Trauben oder die Maische und nicht den fertigen Wein, 1972 immerhin noch 39 Prozent. Dieses Verhältnis kehrte sich nach und nach um. Zur Jahrtausendwende verzichteten nur noch 22 Prozent der Betriebe auf den Ausbau des eigenen Weins. Während 1972 erst 16 Prozent zumindest einen Teil ihrer Produkte selbst als Flaschenwein vermarkteten, waren es 2009 mehr als die Hälfte; vgl. hierzu Mahlerwein, Gunter, 2015, S. 367; Currle, Otto, S. 42. Teilweise spricht man in den 1980er Jahren von sogenannten Wechselvermarktern, die nur dann Flaschenwein produzierten, wenn die Preise im Fassweinsektor schlecht waren; vgl. hierzu Currle, Otto, S. 43; zur Entwicklung seit dem Jahr 2000 vgl. Steinschulte, S. 2. Insgesamt gelangen heute (Stand 2016) etwa 20 Prozent der Weine über Flaschenvermarktung in Umlauf, die übrigen 80 Prozent über Fassweinmarkt mittels Weinkommissionären und Weinmaklern oder über Erzeugergemeinschaften und Winzergenossenschaften an die Kellereien; vgl. hierzu Schätzel, Otto 2016, S. 96–97. Der Wertanteil der Direktverkäufe ist höher. Deutschlandweit wurden etwa im Jahr 2009 28 Prozent des Weins unmittelbar durch Weinbaubetriebe verkauft, dies entsprach jedoch einem Wertanteil von 40 Prozent. Demgegenüber machten die 60,4 Prozent Mengenanteil aus Einzelhandel und Supermärkten nur einen Wertanteil von 43,9 Prozent aus; vgl. hierzu Weinwirtschaftsbericht 2010, S. 37. Zurück
  12. Currle, Otto, S. 43-44. Zurück

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