
Schädlinge und Pflanzenschutz
Waldtiere, Vögel, Pilze, Insekten, Bakterien und Viren
Die Tätigkeit der Winzerinnen und Winzer besteht zu einem wesentlichen Teil in der Bekämpfung von Schädlingen und Krankheiten, die sonst drohen, die mühevolle Arbeit zunichtezumachen.
Historische Zeugnisse über die Erfordernisse des Pflanzenschutzes sind vor dem 19. Jahrhundert nur vereinzelt zu finden. [Anm. 1] Bemerkenswert ist, dass selbst in detaillierten Arbeitsanweisungen aus dem klösterlichen Kontext, die alle Arbeiten von der Pflanzung bis zur Rebe festlegten, der Rebenschutz keine Nennung findet. Erste Berichte über Verluste durch Schadinsekten finden sich hingegen hierzulande seit dem Spätmittelalter. [Anm. 2]

Erst mit der einsetzenden Verwissenschaftlichung des Weinbaus im 18. und 19. Jahrhundert verdichtet sich auch die Dokumentation der bestehenden Arbeitspraxis. Zu den allgegenwärtigen Schädlingen zählte, neben hungrigen Menschen, stets die heimische Tierwelt: Vor allem Wildschweine, aber auch Hasen, Rehe, Füchse, Dachse, Wühlmäuse, Igel und viele Weitere. [Anm. 3] Die größere tierische Gefahr kam jedoch von oben: Ab dem 18. Jahrhundert wurden Klagen laut über Staren- und Spatzenplagen, aber auch über Fasane, Elstern und zahlreiche Drosselarten (beispielsweise die Weindrossel). [Anm. 4] Gegen Waldtiere schützten sich finanzstarke Weinbergsbesitzer durch Ummauerung oder Einzäunung, ab dem 20. Jahrhundert auch mit Maschendraht. Eine Überspannung mit Netzen zum Schutz vor Schadvögeln ist erst seit der Erfindung günstiger Kunststoffnetze möglich. Über Jahrhunderte blieb den Winzern oft lediglich das Vertreiben der tierischen Schädlinge mit Klapperwerken und Wachtfeuer, später auch mit Pistolen oder sonstigen lärmerzeugenden Geräten. In der Person des gemeinschaftlichen Weinbergsschützen wurde diese Form des Pflanzenschutzes zur Herbstzeit in allen weinbautreibenden Ortschaften Rheinhessens institutionalisiert. [Anm. 5]
Kleinere – aber keinesfalls weniger gefährliche – Widersacher der Winzerinnen und Winzer sind gefräßige Insekten. Zu den wichtigsten Schädlingsgruppen gehören dabei aus historischer Perspektive der Rebenstecher, der Traubenwickler (dessen Raupen heißen Heu- und Sauerwurm) und die Reblaus. Es gab und gibt jedoch viele weitere. [Anm. 6]
- Der Rebenstecher, auch Rebstichler oder Zigarrenwickler, war bereits den antiken Römern bekannt. Hildegard von Bingen benannte ihn im 12. Jahrhundert als „rebestuchil“. [Anm. 7] Vor allem um 1900 richtete der Käfer im deutschen Weinbau erhebliche Schäden an. Er sticht die jungen Rebentriebe an und frisst Knospen und Blätter. Seine Eier rollt er in die Blätter ein, die anschließend eingetrocknet zu Boden fallen. [Anm. 8]
- Der Traubenwickler wurde erstmals 1420 genannt und galt im 19. Jahrhundert als bedeutendster Schädling. [Anm. 9] Die erste Larvengeneration sucht als „Heuwurm“ die Traubenblüte heim und verpuppt sich. Im Herbst kommt die zweite Larvengeneration als „Sauerwurm“ wieder und bohrt sich in die Beeren. [Anm. 10]
- Die Reblaus wurde aus Amerika eingeschleppt, sie wurde 1865 erstmals in Frankreich festgestellt und verbreitete sich innerhalb der nächsten Jahrzehnte unaufhaltsam über den gesamten europäischen Kontinent. Sie erscheint in unterirdisch und oberirdisch lebender Form. Hauptschädling sind die unterirdisch lebenden Weibchen, die an den Wurzeln des Rebstocks saugen und sich meist eingeschlechtlich fortpflanzen. [Anm. 11]
Neben dem unmittelbaren Eier- und Fressschaden können Insekten zudem Überträger von Viruskrankheiten sein, die den Rebstock befallen. Die Reisigkrankheit und die seit den 1930ern maßgeblich in Alzey miterforschte Rollkrankheit sind die bekanntesten und am weitesten verbreiteten Virosen im Weinbau. Georg Scheu (1879-1949) war einer der ersten, der erkannte, dass Rebkrankheiten durch Viren verursacht werden können. [Anm. 12]
Andere Rebkrankheiten werden von Pilzen ausgelöst. Besonders hervorzuheben sind dabei Botrytis Cinerea (Grauschimmel), Roter Brenner sowie Oidium (Echter Mehltau) und Peronospora (Falscher Mehltau). Botrytis ist manchen Weinkennerinnen und Weinkennern als positive Edelfäule ein Begriff. Auf noch nicht vollständig ausgereiften Trauben richtet sie jedoch als Rohfäule großen Schaden an. [Anm. 13] Der Rote Brenner ist eine der ältesten Rebkrankheiten und in Europa heimisch. [Anm. 14] Oidium wurde in den 1840er Jahren aus Amerika nach England eingeschleppt, Peronospora in den 1870er Jahren aus Amerika über Frankreich – beide Pilze verbreiteten sich innerhalb weniger Jahre über den gesamten europäischen Weinbau. [Anm. 15] Es existieren viele weitere Schadpilze. [Anm. 16]
Bekämpfung
Die Bekämpfung von Rebkrankheiten und Schädlingen war wichtiger Impuls für die voranschreitende Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Weinbaus. Die gegründeten Lehr- und Versuchsanstalten experimentierten mit Pflanzenschutzmitteln und resistenteren Züchtungen. [Anm. 17] Bereits antike Schriftsteller, wie Plinius der Ältere, beschrieben Insektizide im Weinbau auf Basis von Arsen. [Anm. 18] Über einen entsprechenden Einsatz von solchen oder ähnlichen Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung finden sich in Rheinhessen bis um 1900 keine Spuren.
Zum Schutz vor Pilzbefall griff man hingegen auf Schwefel als altbewährtes Fungizid zurück. Dieser zeigte bei Falschem Mehltau jedoch keine Wirkung. Um 1885 wurde durch einen glücklichen Zufall die Kupfervitriolkalkbrühe entdeckt, auch „Bordelaiserbrühe“ oder „Bordeauxbrühe“ genannt, die auch vor diesem schützte. [Anm. 19] Die schwefelhaltigen und schwefelfreien Mittel wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts stetig weiterentwickelt, wobei sowohl die Wirksamkeit als auch die Ausbringung verbessert wurden. [Anm. 20] Seit den 1950er Jahren wird verstärkt auf organische Fungizide zurückgegriffen. [Anm. 21]
Kreative Empfehlungen gegen Insekten, beispielsweise das Treiben von Hühnern in die Weinberge, welche diese suchen und fressen sollten, finden sich um 1771 zumindest auf der rechten Rheinseite als Empfehlung. [Anm. 22] Vor allem waren das Abpflücken von Winterpuppen beim Rebschnitt, das Einfangen von Motten mithilfe von Klebfallen, die Handauslese von Heu- und Sauerwürmern oder das gezielte Aussetzen von Nützlingen wie Schlupfwespen, sogar das Anlegen von Nistgelegenheiten für Vögel in den Weinbergen biologische Maßnahmen, mit denen man sich spätestens Ende des 19. Jahrhunderts zu helfen wusste. [Anm. 23] Später nutzte man Nachtlampen zum Einfangen der Motten, verstrich alle Risse in den Drahtanlagen mit Zementmörtel, kochte die Pfähle ab und bestrich die Schenkel der Rebstöcke mit Kalk. [Anm. 24]
Ab 1907 wurden im deutschen Weinbau erste Versuche mit Insektiziden auf Basis von Arsen gewagt, das in Nordamerika seit den 1860ern und im französischen Weinbau schon seit 1886 eingesetzt wurde. [Anm. 25] In den deutschen Weinbaugebieten wurde bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs überwiegend auf Nikotinpräparate gesetzt. [Anm. 26] Nach langen Diskussionen und Prüfjahren nahm die Biologische Reichsanstalt Arsen im Jahr 1920 ins Pflanzenschutzmittelverzeichnis auf. Dabei wurden jedoch strenge Anforderungen an die Grenzwerte für Arsenrückstände und an die gestatteten Anwendungszeiträume gestellt, die in den Folgejahren noch mehrfach verschärft wurden. [Anm. 27] Die Vorsicht war nicht unbegründet und die Zulassung wurde allgemein als Fehler erkannt: Arsenschädigung galt nun als Berufskrankheit, von der bis ins Jahr 1940 schätzungsweise 800 bis 1000 Winzerinnen und Winzer betroffen waren, teilweise tödlich. 1942 wurde der Arseneinsatz verboten. [Anm. 28] Mit den Spätfolgen des Arseneinsatzes sollten die Weinbautreibenden aber noch 20 Jahre später zu kämpfen haben. [Anm. 29] Als alternatives Mittel etablierte sich 1940 das erste chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel „Nirosan“, [Anm. 30] ab Ende der 1940er bis Anfang der 1950er auch DDT, wobei sich bei letzterem zeigte, dass dieses indirekt zu einem vermehrten Auftreten der Roten Spinnen führte, weshalb es nur kurz im Einsatz war. [Anm. 31] In der Folgezeit wurden immer weitere Mittel auf den Markt gebracht, wobei bei Zulassungen der Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Umweltschutz immer stärker in den Fokus rückten.
Die Reblaus
Einzig die Bekämpfung der unterirdisch lebenden Reblaus erforderte ein viel stärker koordiniertes und überregionales Vorgehen. Die Hessische Weinbaudomäne arbeitete mit Hochdruck an dem Problem. [Anm. 32] Im März 1930 war Rheinhessen unmittelbar von der Reblaus bedroht, was die Behörden in besondere Angst versetzte. Man rodete zu diesem Zeitpunkt bereits betroffene Weinberge, entseuchte (treffender: „verseuchte“) den Boden mit Schwefelkohlenstoff sowie das Werkzeug und alle Reben vor dem Einpflanzen. Neue Anpflanzungen, mit Nachweis über Ursprung und Entseuchung, waren nun meldepflichtig. Nach dem ebenfalls meldepflichtigen Aushauen wurden zudem alle Rebstöcke von Bezirkssachverständigen untersucht. Ein festgestellter Befall führte zur angeordneten Rodung der gesamten Anlage. Mit der großflächigen Neuanlage der betroffenen Weinbaugelände wurde regelmäßig eine Verbesserung des Wegesystems verbunden, um die Arbeitseffizienz zukünftig zu verbessern. Da Reblausherde für einzelne Winzer und Winzerinnen allerdings auf Jahre zu erheblichen Verlusteinbußen führten, kooperierten diese manchmal nicht mit den staatlichen Organen. [Anm. 33] Die einzig wirksame Gegenwehr war ab Ende der 1920er Jahren – insbesondere aber nach der Nichtbekämpfung der Reblaus während des Zweiten Weltkriegs – die Umstellung des annährend gesamten Weinbaus auf Propfreben mit resistenten Unterlagen. [Anm. 34] 1953 wurde in Rheinland-Pfalz mit dem Weinbergsaufbaugesetz, im Volksmund als „Reblauskasse“ bezeichnet, die Grundlage für den Wiederaufbau der Rebenlandschaft geschaffen. Diese war gleichzeitig verbunden mit einer umfassenden Neuvermessung und Flurbereinigung. [Anm. 35]
Ökologischer Weinbau
Pflanzenschutz ist auch ganz anders möglich: Das Anbaugebiet Rheinhessen ist in Deutschland heute Vorreiter für ökologischen Weinbau, der hier mittlerweile mehr als 10 Prozent der Anbaufläche ausmacht. Im Vordergrund steht dabei der Weinberg als natürliches Biotop und ein möglichst weitgehender Verzicht auf chemische-synthetische Pflanzenschutzmittel, Unkrautbekämpfung oder mineralische Dünger. [Anm. 36] Wesentliche Ziele dieser Wirtschaftsform sind der Erhalt von Umwelt und Natur, insbesondere der Artenvielfalt, für die nachfolgenden Generationen, sowie die Pflege unserer Kulturlandschaft und der schonende Umgang mit den natürlichen Ressourcen. [Anm. 37]
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
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- Bernhardt, Andreas: Ermittlung von Pestizidstoffströmen im Ökosystem Buchenwald. 2003. URN: urn:nbn:de:gbv:luen4-opus-2567
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- Claus, Paul: Der Schutz der Reben vor Schädlingen und Krankheiten. Ein Beitrag zur Geschichte des Rebschutzes. Wiesbaden 1985 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 74).
- Diehl, Dennis: Reblausbekämpfung und Flurbereinigung. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 69–82.
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- Fuchß, Peter: Die Geschichte der rheinhessischen Weinbaudomäne Mainz. In: Geschichte der Domäne Mainz und der Staatsweingüter im südlichen Rheinland-Pfalz. Hrsg. v. Udo Bamberg [u.a.]. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 191), S. 45–118.
- Graff, Dieter: Die deutsche Weinwirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg bis 1930. Wiesbaden 2007 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 155).
- Keil, Hartmut/Zillien, Felix: Der deutsche Wein 1930 bis 1945. Eine historische Betrachtung. Dienheim, 2010.
- Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
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- Schätzel, Emil: [Lebenslauf]. Emil Schätzel, Guntersblum. *1878 ✝1964. Guntersblum.
- Schlamp, Jacob: Die Weinjahre des 19. Jahrhunderts. Nebst einem Anhange "Nierstein und das Weinbuch von W. Hamm". Wiesbaden 1879.
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