Die Frühe Neuzeit
Einblicke in Wirtschaft und Handel
Wein war während der Frühen Neuzeit wertmäßig an der Spitze aller Agrarprodukte. Zölle, Gebühren und weitere Abgaben auf den streng reglementierten Weinhandel waren für die Städte und Herrschaften entlang des Rheins eine lukrative Einnahmequelle. Diese widmeten dem Weinbau und dem Weinhandel daher stets ihre größte Aufmerksamkeit. Alleine im Kurmainzer Gebiet gab es zwischen 1674 und 1790 ganze 30 Verordnungen, also im rechnerischen Mittel rund alle vier Jahre, die den Weinbau und Weinhandel betrafen. [Anm. 1] Parallel entwickelte man zu dieser Zeit in wohlhabenden Weingütern die Anbau- und Kellertechnik weiter: Besonders hervorzuheben sind der Kleeanbau, das späte Lesen edelfauler Trauben [Anm. 2] und die gezielte Lagerhaltung von Gewächsen besonderer Qualität (Kabinett). [Anm. 3]
Der Kleeanbau ist eine bedeutende Agrarmodernisierung dieser Zeit, die rückblickend gerne unterschätzt wird, und setzte etwa ab den 1780er Jahren ein. Klee bindet Stickstoff aus der Luft im Boden, wo er den Rebstöcken zur Verfügung steht. Der Anbau von Klee verbesserte außerdem wesentlich die Futterbasis der Viehhaltung, insbesondere die Stallfütterung, und damit wiederum die Düngung. [Anm. 4] Insgesamt lässt sich die „pfälzisch-rheinhessische Agrarrevolution“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem erheblichen Teil auf mennonitische Bauernfamilien und ihre Nachkommen zurückverfolgen, wie beispielsweise den Agrarpionier David Möllinger aus Monsheim. [Anm. 5]
Handel darf man sich bis ungefähr ins 18. Jahrhundert nicht ansatzweise so unbeschränkt vorstellen wie in heutigen Wirtschaftssystemen. Die meisten Winzerinnen und Winzer unterlagen – mit diversen Ausnahmen, vor allem für Adelige und Klöster – vielerorts dem sogenannten „Marktzwang“. Das bedeutet, dass nur an festen Orten und zu festen Terminen Wein verkauft werden durfte. [Anm. 6] Die wichtigste Messe in der Region und weit darüber hinaus war seit dem Spätmittelalter die Frankfurter Messe, die zweimal jährlich an Ostern und im Herbst stattfand. [Anm. 7] Kleinere und auf Frankfurt abgestimmte Messen im Gebiet des späteren Rheinhessen durften zu verschiedenen Zeiten unter anderem in Oppenheim, Worms, Hechtsheim und Mainz abgehalten werden. [Anm. 8] Die Hauptabsatzgebiete für rheinhessischen Wein lagen traditionell rheinabwärts, Richtung Köln und in den Niederlanden, sowie im Nordosten Deutschlands. [Anm. 9]
Üblicherweise wurden die Preise auf diesen Märkten zwischen Vertretern der Kommune oder des Klerus und den angereisten Kaufleuten ausgehandelt und galten dann für jeden Wein unabhängig von der Qualität. Erst im 18. Jahrhundert wurde der Bauernstand nach und nach über Sachverständige an der Preisfindung beteiligt. Mit den Festpreisen ging lange Zeit ein ausgeklügeltes Verkaufsverfahren einher: die sogenannte „Kabelung“ oder „Gabelung“ (von niederländisch „verkavelen“ = verlosen, parzellieren). Alle Weine wurden vor Marktbeginn der Qualität nach geordnet. Gegenstand eines Kaufvertrags war anschließend immer eine Partie (auch Los genannt) von mehreren Fässern: Der beste mit dem geringsten, der zweitbeste mit dem vorletzten usw., oder Varianten hiervon. Das Verfahren verhinderte, dass die Händler sich die besten Stücke herauspickten. Gleichzeitig schuf es aber zusätzliche Anreize, Masseweine statt Qualitätsweine zu erzeugen, weshalb immer wieder Reformen angestrengt wurden, um das System zu ändern und die Märkte freier zu gestalten. [Anm. 10] Auch außerhalb der Märkte fand Weinhandel statt; am häufigsten zur Begleichung von Schulden, denn viele Weinbäuerinnen und -bauern mussten im risikobehafteten Weinbau Kredite aufnehmen und verpfändeten als Gegenleistung bereits einen Anspruch auf die zukünftige Ernte. [Anm. 11]
Der Mainzer Weinmarkt wurde 1750 zu einer ganzjährigen Messe ausgebaut, begleitet von weitreichenden Baumaßnahmen und besonderen Privilegien für Großhändler, denen nun vor allem ein gewisser Absatz garantiert wurde, durch Kaufverpflichtung der kleineren, regionalen Krämer. Der Charakter des Markts wandelte sich von einem reinen Verkaufsmarkt hin zu einem umfassenden Umschlagplatz. Mainz trat infolgedessen im 19. Jahrhundert in ernstzunehmende Konkurrenz zur Frankfurter Messe. Im Jahr 1870 verzeichnete die Stadt mit 275 Weinhandlungen ihren Höhepunkt. Während die politische Bedeutung der Stadt zu dieser Zeit immer weiter schwand, darf Mainz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Hauptsitz des deutschen Weinhandels gelten, mit Handelsniederlassungen und weitreichenden Verbindungen in die ganze Welt. Dieser Status fand mit den zwei Weltkriegen sein Ende. [Anm. 12]
Neue Konsumartikel traten seit dem Ende des 16. und 17. Jahrhunderts in Konkurrenz zum Wein: Dies waren insbesondere das Bier, aber auch Kaffee, Kakao, Tee und Limonade. Abgesehen vom Bier handelte es sich dabei jedoch noch lange um teure Luxusprodukte, die als Massenkonsumartikel preislich frühestens ab dem 19. Jahrhundert mit dem Wein schritthalten konnten. [Anm. 13]
Das Treidelwesen
Die Schifffahrt auf dem Rhein verlief in beide Richtungen. [Anm. 14] Um stromaufwärts voranzukommen, musste man die Schiffe unter großem Aufwand treideln, d.h. mit langen Seilen vom Ufer aus zu Fuß oder zu Pferde gegen die Fließrichtung des Wassers ziehen. Nach der gefährlichen Engstelle des Rheins am Binger Loch wurde im Allgemeinen als nächste Etappe in zwei bis drei Tagen von Bingen bis nach Worms getreidelt. Der Rhein war vor der Rheinbegradigung deutlich länger, breiter und langsamer, aber auch sumpfiger. [Anm. 15] Die Treidelknechte reisten anschließend über Land, mit einer Übernachtung in Flonheim, wieder zurück nach Bingen. [Anm. 16] Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt wurde der Treideldienst im 19. Jahrhundert nach und nach abgelöst. [Anm. 17]
Weitere Informationen
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
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- Struck, Wolf-Heino: Sozialgeschichte des Rheingaus im 17. und 18. Jahrhundert. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 15. 1965, S. [109]-161.
- Vorster, Karl Anton von: Der Rheingauer Weinbau. Aus selbst-eigener Erfahrung und nach der Naturlehre systematisch beschrieben. Wiesbaden 1997 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 121).