Die französische Zeit
Das „Département du Mont-Tonnerre“
Die Besetzung und schrittweise Eingliederung der linksrheinischen Gebiete durch Frankreich ab 1794 brachte große soziale und wirtschaftliche Umwälzungen mit sich: Gegen den Willen der Zünfte wurden die Gewerbefreiheit eingeführt und Handelsreglementierungen aufgehoben. Die Bewirtschaftung von Grund und Boden aus eigenem Recht statt als Untertan und Abgabepflichtiger wurde zur Regel. Alle Zehnten und Frondienste wurden abgeschafft. [Anm. 1] Alle Bürger wurden rechtlich gleichgestellt – auch steuerrechtlich. [Anm. 2] Diese neuen Rechte bezeichnete man später selbstbewusst als „rheinische Institutionen“ und setzte sich auch nach der französischen Zeit für deren Erhalt ein. [Anm. 3]
Eine Flut von An- und Umfragen, Erhebungen und Zählungen
Nach der „Einverleibung“ der linksrheinischen Gebiete in die französische Nation, folgte eine wahre Flut von An- und Umfragen, Erhebungenen und Zählungen, welche die französischen Staatsbürokratie erforderte. Weitere Informationen zu diesem Thema sind in einem Exkurs am Beispiel einer Umfrage von 1809 im Kanton Alzey zusammengestellt.
1801 wurde das besetzte Gebiet im Frieden von Lunéville offiziell in die Französische Republik integriert. Bereits 1798 war die Verwaltung nach französischem Vorbild neu organisiert worden. Die Region wurde nun Teil des neuen Verwaltungsgebiets „Département du Mont-Tonnerre“ (Département Donnersberg) mit Verwaltungssitz in Mainz. Das spätere Rheinhessen gehörte überwiegend zum Arrondissement (Verwaltungsbezirk) Mainz, teilweise zu Speyer. [Anm. 4] Die Wirtschafts- und Lebensbedingungen, Gesetze, Währungen und Maßeinheiten der benachbarten Städte und Gemeinden waren nun erstmals in der Geschichte der Region nach einem Territorialprinzip vereinheitlicht.
Die Verschiebung der Zollgrenzen zu dieser Zeit beeinflusste den Weinhandel erheblich: Das gesamte Territorium, welches später zu Rheinhessen werden sollte, wurde ins französische Zollgebiet integriert. Die rechtsrheinischen Gebiete, insbesondere der früher für den Kurmainzer Weinbau zentrale Rheingau, wurden vorübergehend abgetrennt. [Anm. 5] Ab 1804 erleichterte dafür die Umstrukturierung der Zölle durch die Rheinschifffahrtskonvention allgemein den Handel am Rhein. [Anm. 6]
Ab 1803 begann man mit der Versteigerung von sogenannten „Nationalgütern“. Dies waren vor allem im Zuge der Säkularisation beschlagnahmte Besitzungen der Kirchen und anderer geistlicher Institutionen, aber auch Grundbesitz des geflüchteten Adels und der ehemaligen Territorialherren. Häufig handelte es sich um attraktive Hofgüter mit den besten Böden – die Nachfrage war groß. In den späteren rheinhessischen Gemeinden, ausgenommen Mainz und Worms, wurden bis 1813 insgesamt 828 Verkäufe getätigt. Etwa ein Drittel davon wurde von Ortsansässigen erworben, häufig den ehemaligen Pächtern. Das Gros der Nationalgüter wurde hingegen von auswärtigen Großkäufern aus dem städtischen Bürgertum aufgekauft. Häufig parzellierten diese im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts das neu erworbene Land und verkauften es stückweise an die Bauern vor Ort. [Anm. 7] Die zusätzlichen unbelasteten Grundstücke boten einen wichtigen Impuls für den frühen Qualitätsweinbau: Experimentierfreudige und entsprechend finanzstarke Bürgerliche kauften sich in die Branche ein und versuchten, das Beste aus dem Boden herauszuholen. Anders als häufig zu lesen, war allerdings der freie Handel mit Grundbesitz in unserer Region keine Neuerung der französischen Zeit. Mit Ausnahme des Mainzer Umlandes in unmittelbarer Nähe zum Erzbistum und einzelnen Orten an den Rheinterrassen war bereits im 18. Jahrhundert, also vor Einmarsch der Franzosen, der Großteil der Agrarfläche freies bäuerliches Eigentum. [Anm. 8]
Proklamationen
Auf die offizielle Proklamation im Dezember 1792 folgten mehrere satirische, teils mit äußerst aggressiver Wortwahl. Revolutionäre und Befürworter der alten Ordnung rangen um Anerkennung durch die Einwohner der Landstriche Mainz, Worms, Speyer und Falkenstein.
Weitere Informationen
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
- Langemann, Ricarda: Großhändler in einer kurfürstlichen Residenzstadt. Untersuchungen zum Mainzer Handelsstand 1747–1797 (Universität Mainz, Staatsexamen). Mainz 1999.
- Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816–2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
- Mahlerwein, Gunter: Wein und Politik. Rheinhessen im 19. Jahrhundert. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 31–43.
- Mathy, Helmut: Weinkultur in Mainz seit dem Mittelalter. Wiesbaden 1993 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 105).
- Pfeiffer, Simeon Thomas: Die Mainzer Akte von 1831. URL: www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/pfeiffer-mainzer-akte-1831.html (Zugriff: 19.07.2022)
- Schäfer, Rudolf: Förderung von „Handel und Wandel“ in Kurmainz im 18. Jahrhundert. Ffm.-Höchst 1968.
- Schlamp, Jacob: Familiengeschichte Schlamp. Lebensbeschreibung von Jacob Schlamp. Nierstein 2. Aufl., 1886 (2011).
- Traub, Sarah: Die Revolution 1848/49 in Rheinhessen. In: www.regionalgeschichte.net. URN: urn:nbn:de:0291-rzd-016532-20203112-2
- Türk, Henning: Verwissenschaftlichung, Assoziierung, Verrechtlichung. Prozesse und Rahmenbedingungen des Weinbaus im deutschen Südwesten seit dem 19. Jahrhundert am Beispiel Rheinhessens. In: Weinbau in Rheinhessen. Beiträge des Kulturseminars der Weinbruderschaft Rheinhessen zu St. Katharinen am 14. November 2015. Hrsg. v. Andreas Wagner. Wiesbaden 2016 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. Nr. 190), S. 10–30.