Weinbau am Petersberg Mitte des 19. Jahrhunderts.
Weinbau am Petersberg Mitte des 19. Jahrhunderts. Bild: Stahlstich aus: Das Großherzogthum Hessen in malerischen Original-Ansichten … Darmstadt 1842.

Umfrage zum Weinbau (1809)

La Culture de la Vigne dans le Canton d’Alzey.

Eine Umfrage zum Weinbau in der „Franzosenzeit“ (1809)

Dieser Aufsatz von Rainer Karneth wurde 2005 in den Alzeyer Geschichtsblättern veröffentlicht.

Faktisch seit Ende 1797, völkerrechtlich verbindlich seit 1801 waren die linksrheinischen Reichsgebiete der „französischen Nation übergeben und einverleibt“ [Anm. 1] . Eine territoriale und administrative Flurbereinigung beendete die bisherige territoriale Zersplitterung in zahlreiche, mehr oder weniger unabhängige Herrschaftskomplexe zu Gunsten eines geschlossenen und einheitlich strukturierten Staatsgebietes und –gebildes. Die besetzten Gebiete wurden in vier Departements eingeteilt. Verwaltungssitz des neu geschaffenen Donnersberg-Departements, des Département Mont-Tonnerre, war Mainz. Eine noch weitergehende verwaltungsmäßige Zentralisierung brachte das von dem mittlerweile zum „Ersten Konsul“ avancierten Armeegeneral Napoleon Bonaparte durchgesetzte sogenannte „Präfektursystem“ ab dem Frühjahr 1800. An der Spitze dieses neuen, streng hierarchisch und zentralistisch aufgebauten Verwaltungssystems stand ein einziger, mit großen Ermessensspielräumen ausgestatteter Beamter, der Präfekt des Departements, der selbst wiederum der Pariser Regierungszentrale berichts- und weisungsgebunden war. Ziel und Zweck des Präfektursystems war die Installation einer zentralistischen, hierarchisch klar gegliederten und damit effektiven Verwaltungsorganisation, die eine möglichst feinmaschige administrative Erfassung und Durchdringung des gesamten Landes als Voraussetzung für eine optimale Mobilisierung aller finanziellen, wirtschaftlichen und personellen Ressourcen für den Staat und das Militär gewährleisten sollte.

Ohne die genaue Kenntnis von Land und Leuten war eine derartige zentralistisch ausgerichtete Verwaltungspraxis indes nicht möglich. Ein immenses Informationsbedürfnis der Staatsbürokratie stimulierte daher eine wahre Flut von An- und Umfragen, Erhebungen und Zählungen statistischer Natur, welche die nachgeordneten Verwaltungsebenen: die Arrondissements, Kantone, vor allem aber die Bürgermeistereien, die Mairies wie sie nunmehr hießen, geradezu überschwemmten.

Berichte über Bevölkerungsbewegungen, den Erfolg von Impfmaßnahmen, über die Art und Anzahl der Gewerbe, die Beschaffenheit der Straßen, die örtliche Bauweise und die Zahl der Gebäude, den Stand von Ackerbau und Viehzucht wurden „von oben“ angefordert und mussten von den Bürgermeistern der Gemeinden, den Maires, erstellt werden. Zu den zahlreichen Berichten, die vom Mainzer Präfekten auf Veranlassung des „Ministre de l’intérieur“ in Paris angefordert wurden, gehört auch eine im September 1809 dem Alzeyer Bürgermeister Simon zugestellte Anfrage „sur la Manière dont on cultive la Vigne“ im Arrondissement Mainz bzw. im Kanton Alzey. [Anm. 2] Entsprechend einem beigefügten Fragebogen hatte der Alzeyer Bürgermeister Auskünfte von den einzelnen Maires des Kantons über den Weinbau in ihren Gemeinden einzuholen, die er selbst wiederum tabellenförmig zu einem „Etat, contenant des Renseignements statistiques sur la Culture de la Vigne dans le Canton d’Alzey“ zusammenzustellen und an den Präfekten zurückzuschicken hatte. [Anm. 3] Erwartet wurden Angaben, ob überhaupt Weinbau in der Gemeinde betrieben wurde oder nicht, auf wie viel Hektar man rote bzw. weiße Trauben angepflanzt hatte, nach der Art und Weise der Pflanzenerziehung bzw. „-kultivierung“, nach der Anzahl der Rebschnitte mit denen man den Rebstock in „facon“ brachte sowie eher allgemeine Bemerkungen der Maires über den Weinbau in ihrer/ihren Gemeinde(n). [Anm. 4]

Die Ergebnisse der Umfrage in Zahlen

Nach rund einundeinhalb Monaten hatte Bürgermeister Simon die geforderten Informationen aus den 24 Gemeinden des Kantons [Anm. 5] zusammen. Einige der Maires beschränkten sich dabei auf die offenbar mündlich gegebene Mitteilung, dass in ihrer/ihren Gemeinde(n) kein Weinbau betrieben werde, während andere ausführliche, schriftlich niedergelegte Antworten nach Alzey sandten.

Etat, contenant des Renseignements statistiques sur la Culture de la Vigne dans le Canton d’Alzey

Communes du Canton ou l’on cultive la Vigne Communes du Canton ou l’on ne cultive pas la Vigne Nombre d’hectares cultivé en Raisin rouge Nombre d’hectares cultivé en Raisin blanc Total
Alzey     50 50
Albig     15 15
Bermersheim     3 3
Heimersheim     18 18
Bornheim     7 7
Lonsheim     7 7
Flonheim   8 22 30
Uffhofen   3 12 15
Wendelsheim     3 3
Nack     4 4
Erbes-Büdesheim     15 15
  Niederwiesen      
  Offenheim      
Weinheim     20 20
  Freimersheim      
Wa(h)lheim     1 1
  Kettenheim      
Flomborn     2 2
Framersheim     43 43
  Dautenheim      
(Gau-)Odernheim     58 58
  (Gau-)Köngernheim      
  Esselborn      
  Bechenheim      
  Dintesheim      

Ein erster Blick auf die von Bürgermeister Simon erstellte Tabelle lässt erkennen, dass in 9 der 25 Gemeinden des Kantons zu dieser Zeit überhaupt kein Weinbau betrieben wurde: so in Bechenheim, Dautenheim, Dintesheim, Esselborn, Freimersheim, Kettenheim, (Gau )Köngernheim, Nieder-Wiesen und Offenheim. Und auch noch in den 1820er und 30er Jahren sind es die nämlichen Gemeinden, die in den von J. Jerôme und W. Hesse abgedruckten Statistiken keine Weinbergsflächen in ihren Gemarkungen aufwiesen. Erst die kontinuierliche Zunahme des Weinbaus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Rheinhessen [Anm. 6] bewirkte, dass man auch in den Gemarkungen dieser Gemeinden nach und nach Wingerte anlegte und – wenn auch in bescheidenem Maße – Weinbau betrieb. [Anm. 7]

Bei diesen Gemeinden handelt es sich zum einen um Orte am Rande des Nordpfälzer Berglandes wie etwa Bechenheim, das heute die höchst gelegene Weinbaugemeinde Rheinhessens ist, zum anderen um Gemeinden im Einzugsbereich des Aufspringbaches bzw. des „Kühlen“ resp. „Kettenheimer Grundes“ oder aber um Gemeinden wie (Gau )Köngernheim, deren Gemarkungen sich scheinbar besser für den Ackerbau eigneten. Denn generell galt auch in der Franzosenzeit, dass insbesondere der Getreideanbau propagiert und präferiert wurde. [Anm. 8] Nur dort, wo beste Standortbedingungen oder aber für den Ackerbau weniger geeignete Flächen zur Verfügung standen, wurden Wingerte angelegt. Dies bestätigt auch die Bemerkung des Flonheimer Bürgermeisters, wonach in den Gemarkungen von Flonheim und Uffhofen „nur jenes Feld zu Weinbergen angelegt wird, das zum Acker nicht genutzt werden kann“.

Gleichfalls neun Gemeinden wiesen eine Rebfläche von mehr als 10 Hektar auf. Wohl zu Recht können diese als die eigentlichen „Weinbaugemeinden“ des Kantons angesehen werden. Nimmt man die absoluten Zahlen, so war (Gau )Odernheim mit 58 Hektar die größte Weinbaugemeinde, gefolgt von Alzey (50 ha), Framersheim (43 ha), Flonheim (39 ha) und Weinheim (29 ha). Die Reihenfolge ändert sich, wenn man diese Zahlen in ein Verhältnis zu den landwirtschaftlichen Nutzflächen setzt. Legt man die von J. Jerome angeführten Daten über die landwirtschaftliche Nutzung der Gemarkungen aus dem Jahr 1824 zu Grunde [Anm. 9] , so war (Gau )Odernheim auch relativ gesehen mit einem Rebflächenanteil von 5,80% der landwirtschaftlichen Nutzfläche die größte Weinbaugemeinde des Kantons. An zweiter Stelle lag jedoch nicht mehr Alzey, das mit 4,50% nurmehr den sechsten Rang einnahm, sondern Framersheim mit 5,05% Weinbaufläche. An dritter Stelle folgte Weinheim (4,70%), vor Uffhofen (4,60%), Heimersheim (4,57%), Alzey (4,50%), Flonheim (3,35%), Erbes-Büdesheim (2,72%) und Albig (2,49%).

Angebaut wurden in den Weinbaugemeinden des Kantons ausschließlich Weißweintrauben. Lediglich die beiden Wiesbachtal-Gemeinden Flonheim und Uffhofen, wo auf acht bzw. drei Hektar Rotweinrebstöcke standen, machten hiervon eine Ausnahme. Dass dies durchaus sinnvoll war, zeigt die von Stolz geprägte Bemerkung des Flonheimer Maires über den Weinbau in seinen beiden Gemeinden: „Der hier gezogene Rothe Wein ist von bekannter Güte“.

Berichte der örtlichen Gemeindevorsteher

Mehr Informationen als das dürre Datenskelett der tabellarischen Auflistung des Alzeyer Bürgermeisters vermitteln die Berichte der örtlichen Gemeindevorsteher. Wie bereits die eben zitierte Bemerkung des Flonheimer Maires den Rotwein betreffend zeigt, liefern diese weitergehende Hinweise zu den im Kanton angebauten Rebsorten, zum Rebschnitt, zur Reberziehung und Bearbeitung der Weinberge. Von besonderem Interesse sind auch die wertenden Einschätzungen, die einige von ihnen in Bezug auf die Qualität des örtlichen Weinbaus vornahmen.

Was die Rebsorten anbelangt, so wurden lediglich drei Sorten angebaut. Für den Rotwein hatte man in Flonheim und Uffhofen „rothe(n) Burgunder“ (wohl Spätburgunder) angepflanzt, der zwar – wie bereits erwähnt – nach Aussage des Bürgermeisters Weine „von bekannter Güte“ lieferte, dessen Ertrag „aber nicht reichlich“ ausfiel. Die für die Weißweine angepflanzten Rebsorten waren der Kleinberger, auch Elbling genannt, und der Riesling. Während in Gemeinden mit nur wenig Weinbau die Rebflächen ausnahmslos mit Kleinberger bestockt waren, wurde in den größeren Weinbaugemeinden, so in (Gau )Odernheim, Framersheim, Weinheim, Flonheim, Uffhofen und Albig neben dem Kleinberger auch Riesling angepflanzt.

Der Anteil der beiden Rebsorten im Anbau scheint dabei von Ort zu Ort unterschiedlich gewesen zu sein. So finden sich Antwortschreiben der Bürgermeister, wo der Riesling vor dem Kleinberger genannt wurde (Flonheim/Uffhofen, Framersheim und (Gau-)Odernheim). In anderen hingegen rangierte der Kleinberger an erster Stelle (Albig). Lediglich die Mitteilung aus Weinheim „Kleinberger und etwas Rißling“ umschrieb das Verhältnis der angepflanzten Rebsorten zueinander etwas näher, so dass man zumindest in diesem Fall begründetermaßen davon ausgehen kann, dass hier der Kleinberger präferiert wurde. Der Kleinberger gilt in Bezug auf die Lage und den Boden als anspruchslose Rebsorte, was ihn zum Massenanbau – im Mittelalter und in der Frühneuzeit war er wohl die verbreitetste Rebsorte in Deutschland [Anm. 10] - geradezu prädestinierte. Die Tatsache, dass er auch auf Kalk- und Mergelböden recht gut gedieh, dürfte – trotz zahlreicher Probleme dieser Rebsorte – ein entscheidender Grund für seine Dominanz im Kantonsgebiet gewesen sein, wo auch noch in den 1830er Jahren, wie von Johann Ph. Bronner für die Umgebung des Petersberges berichtet, „größtentheils Kleinberger“ den Rebsatz bestimmte. [Anm. 11]

Gleichermaßen „anspruchslos“ wie seine Anforderungen an Lage und Böden waren jedoch auch die Weine, die der Kleinberger lieferte. Georg Scheu charakterisierte sie als „Massenweine“, „arm und dünn, ohne Aroma“, weshalb er auch den Anbauwert des Kleinbergers als „nur gering“ erachtete. [Anm. 12] Dass er im Gegensatz zum Riesling mindere Weine hervorbrachte, war selbstverständlich auch den damaligen Berichterstattern bekannt und bewusst. „Der Wein, welcher von Rißling Trauben kommt“, so heißt es in einer der Rückmeldungen nach Alzey, „ist starck und angenehm, hingegen der von Kleinberger ist leichter wie allenthalben“.

Aber auch der Riesling bereitete Probleme. Auf Grund seiner späten Reife erbrachte er nur in guten Lagen und bei guter Herbstwitterung ausreichende Erträge sowie die gewünschte bessere Qualität der Weine. In einer Beschreibung der „Rheinweine Hessens“ aus dem Jahr 1910 wird die folgende statistische Faustformel für den Riesling-Anbau genannt: „Im großen Durchschnitt darf angenommen werden, dass die Qualität der einzelnen Jahrgänge sich ungefähr wie folgt verteilt: ein Drittel der Jahrgänge ist zu den guten, zum Teil vorzüglichen zu zählen, ein Drittel zu den mittelmäßigen und ein Drittel zu den geringen. Auf Gleichmäßigkeit des Ertrages ist beim Anbau der Rieslingrebe weniger zu rechnen als beim Anbau anderer Sorten, aber die Vorteile, welche schon die mittelmäßigen und ganz besonders die guten und vorzüglichen Jahrgänge bringen, sind so bedeutend, dass, falls der Boden dafür geeignet ist, zu dieser Sorte gegriffen wird, wenn Wert auf Erzielung guter Qualität gelegt wird“ [Anm. 13] . Nur in ganz wenigen Gemeinden des Kantons scheint man jedoch das Risiko, das der Anbau des Rieslings beinhaltete, zu Gunsten der besseren Qualität der Weine eingegangen zu sein und die Rebsorten Riesling und Kleinberger getrennt voneinander angepflanzt zu haben. In der Mehrzahl der Orte, in denen sowohl Riesling als auch Kleinberger angebaut wurde, bevorzugte man stattdessen eine Strategie der Risikominimierung, indem man beide Sorten im „gemischten Satz“ pflanzte. So berichtet etwa der Bürgermeister der größten Weinbaugemeinde des Kantons, (Gau )Odernheim, dass die dortigen Weinberge „gemischt“ seien, mit „theils Rießling, theils Elbling“.

Die oft überreich ausfallenden Erntemengen des Kleinbergers konnten auf diese Weise ertragsschwache Rieslingernten ausgleichen, während umgekehrt die fatalen Auswirkungen der beim Kleinberger immer wieder vorkommenden Fehlherbste [Anm. 14] durch die im Gegensatz dazu stabileren Erträge des Rieslings gemindert werden konnten. Allerdings verhinderte der Anbau im Mischsatz, dass die besondere Qualität des Rieslings sich so wirklich entfalten konnte. Zum einen wurden auf diese Weise auch schlechte(re) Lagen mit Rieslingreben bestockt, zum anderen waren durch die frühe Reife des Kleinbergers die Rieslingtrauben bei der Lese oft nicht ausgereift. Die vorherrschende Praxis, die Reben im gemischten Satz anzubauen, erklärt sich möglicherweise daraus, dass viele der Weinproduzenten des Kantons, zumeist bäuerliche Mischbetriebe, mehr für den Eigenbedarf als für den Markt produzierten. Die Qualität der Weine spielte dabei nur eine sekundäre Rolle. Nur in den größeren Weinbaugemeinden dürfte der Anteil, der verhandelt wurde, größer gewesen sein. Dies zeigt das Beispiel Flonheim/Uffhofen, aber auch Weinheim, wo dem Qualitätsgedanken offensichtlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde; zumindest deuten dies die Äußerungen der Bürgermeister über die Qualität der hier produzierten Weine an.

Dass in den größeren Weinbaugemeinden tatsächlich auch bereits Ende des 18. Jahrhunderts größere Weinmengen vermarktet wurden, belegt ein Beschwerdebrief der falkensteinischen Gemeinde Framersheim gegen kurpfälzische Zollerhöhungen, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass der Framersheimer Wein „von unseren benachbarten Chur-Pfaltz orth(en), so wohl Stadt als flecken und Dörffer abgeholet“ werde. [Anm. 15]

Während die Mehrzahl der Bürgermeister auf die Frage nach der „Art der Stöcke“ – so die Übersetzung der Präfektenfrage „Espèce de plant cultivé“ durch den Alzeyer Bürgermeister -, die in ihren Gemeinden angepflanzten Rebsorten nannten, bezogen zwei der Maires die Frage auf die Art der Reberziehung. So lautete die diesbezügliche Auskunft des Heimersheimer Bürgermeisters „Hochstock“, während der Maire von Wendelsheim und Nack mit einer Kombination aus Rebsortenangabe und Erziehungsart antwortete („Kleinberger Hochstock“). Demnach wurde zumindest in diesen beiden Gemeinden eine relativ hohe Erziehung der Reben praktiziert, d.h. man bevorzugt hohe Stämme im Gegensatz zu einer niederen Erziehung, bei der nach Georg Scheu „nur ein kurzer Kopf, der teilweise noch im Boden steckt, den ganzen Rebstock darstellt“. [Anm. 16]

Was den Rebschnitt („façon qu’on donne à la vigne“) anbelangt, so wurde entweder je Stock ein Stift bzw. „Knöter“ (Flonheim/Uffhofen) [Anm. 17] mit zwei oder drei Augen und eine Bogrebe (auch als „Biegel“ oder „Bühel“ bezeichnet), mit 10-12 Augen oder aber, wie in Weinheim, „auf jeden Stock ... zwei Biegel und ein äußig Stift jährlich angeschnitten“.

Zur Stütze und Stabilisierung der langen Bogreben und wurden diese, so der Albiger Bürgermeister, „an pfähl umgebogen“. Diese Art der Erziehung entspricht der noch in den 1930er Jahren in Rheinhessen weitverbreiteten „Pfahlerziehung“, bei der, wie Georg Scheu schrieb, jeder Stock einen Pfahl hatte und „die Bogrebe ... im Bogen von oben nach unten kreisförmig gebogen“ wurde. [Anm. 18] Anfang des 19. Jahrhunderst scheint die Pfahlerziehung im Kanton Alzey sogar das fast ausschließlich angewendete Unterstützungsverfahren gewesen zu sein. Dies geht aus einer Anmerkung des Alzeyer Bürgermeisters hervor, die er seiner tabellarischen Aufstellung beifügte. Dort heißt es: „les façons sont égales dans tout le Canton. La Vigne s’attache après un echallas, et les branches, qui restent après la coupe, sont recourbés sur le pied par des liens d’osiers“. [Anm. 19]

Eine besondere Unterstützungsmethode, die nach Johann Ph. Bronner vor allem im Rheingau zu Hause war, die aber vereinzelt auch in Rheinhessen praktiziert wurde, war die sog. Plankenerziehung. Einen Hinweis darauf, dass sie auch im Kanton Alzey angewandt wurde, liefert die Antwort des (Gau-)Odernheimer Bürgermeisters, der vermerkte, dass die Reberziehung in seiner Gemeinde „theils auf Stöcke(n)“, „theils auf Pflanken“ erfolge. Eingesetzt wurde die Plankenerziehung Bronner zufolge in erster Linie zur Begrenzung der Rebstücke an den Wegen, aber auch in terrassierten Weinbergen und dies insbesondere dann, wenn Kleinberger im Anbau stand. Bei dieser Erziehungsart wurden je zwei Rebstöcke rechts und links von dickeren Pfählen („Rahmenschenkel“) begrenzt, an die wiederum vier Latten genagelt waren. Die verschieden lang geschnittenen Tragreben wurden treppenartig, in Form eines halbgeschlossenen Bogens an den drei unteren Latten angebunden. Die vierte Latte diente zum Heften der neuen Triebe. Diese Erziehung gab, so das Resümee Bronners, „wie ich mich selbst überzeugte, eine ungeheuere Masse von Trauben; zwar bildet sich durch die Bogen eine starke Laubmasse, welche der Luft und Sonne vielen Zugang abhalten, auch ist die Entfernung vom Boden Hinderniß an früherer Zeitigung, allein gerade dieß ist für die hiesige Lokalität passend“; zumal wenn der frühreifende Kleinberger im gemischten Satz mit später reifenden Rebsorten wie dem Riesling angebaut wurde. Denn so „werden die Kleinberger durch die Entfernung vom Boden in der Reife zurückgehalten“ und können mit späteren Sorten zusammen „eingeherbstet“ werden. [Anm. 20]

Ausgefallene Rebstöcke wurden im Kanton Alzey – wenn möglich - durch eine gleichfalls noch von Scheu anempfohlene Methode, die Verwendung von „Schleifreben“ oder „Einleger“, ergänzt. [Anm. 21] Dieses als „sehr vortheilhaft“ angesehene Verfahren bestand darin, einen Trieb eines benachbarten Rebstockes in ein Erdloch an der Fehlstelle „einzulegen“ oder, wie es einer der Bürgermeister ausdrückte, zu „versencken“. Der Trieb bildet Wurzeln aus und entwickelt sich, wenn er späterhin vom Mutterstock getrennt wird, zu einem neuen, eigenständigen Rebstock. Auf diese Weise hatte man „aus einem Stock zwei gemacht, welches sehr vortheilhaft ist“.

Die übrigen Weinbergsarbeiten wurden nur sehr knapp abgehandelt. Bisweilen beschränkte man sich auf die Feststellung, dass man diese wie „in unserer Gegend üblich“ vornehme oder die Arbeitsschritte wurden nur stichwortartig aufgeführt: „Die Weinberge werden dahier jährlich geschnitten, 2mal gehackt, ausgebrochen und geheftet“. Wie hier in Erbes-Büdesheim erfolgte auch in den anderen Gemeinden des Kantons Alzey die Bodenbearbeitung durch zweimaliges Hacken, während andernorts in Rheinhessen der Boden vier- bis fünf-mal gehackt wurde. [Anm. 22] Trotzdem vermerkte der Bürgermeister von (Gau-)Odernheim, dass „die bau Art sehr beschwehrlich“ sei.

Gänzlich ausgespart blieben in den Mitteilungen der Bürgermeister weitere Arbeitsbereiche wie die Düngung, die Weinlese oder die Kellerwirtschaft. Spärlich sind zwar auch die Bemerkungen der Bürgermeister über den Stellenwert des Weinbaus im Gesamtzusammenhang der örtlichen Landwirtschaft sowie ihre Einschätzungen des (Qualitäts-)Niveaus, gleichwohl machen sie jedoch deutlich, dass der Weinbau im Kantonsgebiet nur eine untergeordnete Rolle spielte. Als bedeutendster Zweig der Landwirtschaft galt nach wie vor – und dies auch in den größeren „Weinbaugemeinden“ - der Acker- bzw. Getreidebau. „Der Weinbau ist“, so die Feststellung des Flonheimer Bürgermeisters, „in hiesiger Mairie nicht vorträglich, der Ackerbau ist besser“. Diesem Selbstverständnis entspricht die über die Jahrhunderte hinweg stets betonte und herausgestellte, fast stereotype Charakterisierung der Agrarwirtschaft des „Alzeyer Gaus“ bzw. kurpfälzischen Oberamts Alzey. So liest man etwa in Johann Goswin Widders „Versuch einer vollständigen Geographisch-Historischen Beschreibung der Kurfürstl(ichen) Pfalz am Rheine“ aus dem Jahr 1787 in Bezug auf das Oberamt Alzey: „Die Fruchtbarkeit des Erdreiches hat in dieser Gegend einen besonderen Vorzug. Der Weinbau ist zwar in Vergleich der vielen Ortschaften nicht allzu beträchtlich, und die Güte desselben im Ganzen genommen, wird unter das mittelmäßige Gewächs gezählet ... Das vornehmste ist also der Getreidebau, weshalben auch dieser Strich Landes ein Korn-Speicher der Pfalz genennet wird“. [Anm. 23]

Und auch in der Einschätzung der Qualität des Weinbaus und der hier gewonnenen Weine stimmen Fremd- und Selbsteinschätzung weitgehend überein. So findet Widders Rubrizierung der Weine des Alzeyer Oberamtes [Anm. 24] unter die „mittelmäßigen Gewächse“ seine Entsprechung in der Bewertung des Weinheimer Maires, der selbstbescheiden konstatierte: „Es wächst hier ein Mittel Wein“. Bei aller realistischen Bescheidung konnte er einen gewissen lokalen Stolz gleichwohl nicht verbergen. Denn zumindest gegenüber den Gewächsen der „umliegenden Gemeinden hat der hießige“ Wein, nach Ansicht des Bürgermeisters, „Vorzüge, weil der Boden heißartig und ziemlich schwer ist“.

Besonders bemerkenswert ist das Urteil des (Gau )Odernheimer Bürgermeisters über den Weinbau in seiner Gemeinde und die hier produzierten Weine. Lapidar stellte dieser fest: „die Ergiebigkeit des Weinstocks, sowie die Qualität des Weins ist gering“. Dass sich hinter dieser selbstkritischen Wertung sicherlich kein Understatement verbarg, bestätigt die Einschätzung Johann Ph. Bronners [Anm. 25] , eines Kenners des süddeutschen Weinbaus, der 1834 über den Weinbau am Petersberg schrieb: „Wer an guten Weinbau gewöhnt ist, der staunt ob diesem schlechten Weinbau“. [Anm. 26]

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn allgemein der Übergang zum Qualitätsweinbau in Rheinhessen, insbesondere aber im Alzeyer Land, als eine Entwicklung des – späten – 19. Jahrhunderts angesehen wird. Handelspolitische Gründe waren nach Klaus Türke hiefür ebenso ausschlaggebend wie die auf überwiegend bäuerlichen Mischbetrieben basierende Struktur der Weinproduktion. Beides zusammen war, so Türke, wohl verantwortlich dafür, „dass der Qualitätsweinbau in Rheinhessen erst später zum Durchbruch kam als in den preußischen Gebieten und in der bayerischen Pfalz“. [Anm. 27]

Dass man sich des eher bescheidenen Qualitätsstandards sehr wohl bewusst war, bestätigt eine knappe Randnotiz des Alzeyer Bürgermeisters auf einem der Antwortschreiben aus den Kantonsgemeinden. So merkte er dort an: „la Culture de la Vigne n’est point au degré de perfection“. Zugleich vermeinte er jedoch, was die zukünftige Entwicklung des Weinbaus im Kanton Alzey anbetraf, eine Wendung zum Besseren registrieren zu können. Die hiesigen Weinproduzenten fingen nämlich an, wie ihm schien, die hergebrachte, von falschen Vorurteilen bestimmte Art des Weinbaus zu verlassen („commencent à quitter les faux préjugés“), mit der Folge, dass ihre Weine zu „glänzen“ begännen.

Urheberschaft

Autor: Rainer Karneth
Redaktionelle Bearbeitung: Simeon Guthier
Stand: 15.11.2022

Anmerkungen:

  1. Aus einem Schreiben der Gemeinde Framersheim an den Landesherren, den Kaiser in Wien, vom 20.1.1798, HHStA Wien Kleinere Reichsstände Nr.101 (o.Pag.) Zurück
  2. Der Bericht des Alzeyer Maires befindet sich zusammen mit den Mitteilungen der Bürgermeister der Kantonsgemeinden im Stadtarchiv Alzey, F 39/Conv.I (o.Pag.) Zurück
  3. Die Aussage Werner Weidmanns (ders., Die pfälzische Landwirtschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Saarbrücken 1968, S. 158), dass der Weinbau „im Rahmen der wirtschaftspolitischen Maßnahmen der französischen Regierung bzw. des Präfekten des Departements ... kaum eine Rolle“ spielte, weil er, so seine Ableitung, in den französischen Akten jener Zeit fast unerwähnt blieb, muss daher zumindest relativiert werden. Zurück
  4. Einige der Mairien bestanden aus zwei vormals selbständigen Gemeinden. So waren z.B. Flonheim und Uffhofen zur Mairie Flonheim, Wendelsheim und Nack zur Mairie Wendelsheim zusammengefasst worden. Zurück
  5. Zusammen mit der Stadt Alzey umfasste der Kanton Alzey 25 Gemeinden. Zurück
  6. S. hierzu Türke Klaus, Der Weinbau in Rheinhessen. Eine agrar- und sozialgeographische Untersuchung, Mainz 1970 Zurück
  7. 1907 umfasste die Rebfläche in Bechenheim 6,9 Hektar (ha), Dautenheim 19,7 ha, Dintesheim 2,8 ha, Esselborn 2,0 ha, Freimersheim 4,5 ha, Kettenheim 6,1 ha, (Gau-) Köngernheim 0,1 ha, Nieder-Wiesen 1,0 ha und Offenheim 12,4 ha, s. Die Rheinweine Hessens, hg. vom Weinbau-Verein der Provinz Rheinhessen, Mainz 1910, S. XXIVf. Zurück
  8. Noch in den 1820er Jahren vermerkte Joseph Jerôme in seinem „Statistische(n) Jahrbuch der Provinz Rheinhessen“, dass sich in Rheinhessen – aus verschieden Gründen – „in Vergleich unserer Felder zu viele Weinberge“ befänden, s. ders., Statistisches Jahrbuch der Provinz Rheinhessen für das Jahr 1824, Mainz (1824), S. 31 Zurück
  9. Ebenda, S. 48f. Zurück
  10. S. Bassermann-Jordan Friedrich von, Geschichte des Weinbaus, Bd. I (1923), Neustadt a.d.W. 3. Aufl. 1975 (Nachdruck), S. 385 Zurück
  11. Bronner Johann Ph., Der Weinbau in der Provinz Rheinhessen, im Nahethal und Moselthal (Heidelberg 1834), Faksimiledruck Neustadt/Weinstraße 1981, S. 182 Zurück
  12. Scheu Georg, Mein Winzerbuch, Berlin 1936, S. 169f Zurück
  13. Die Rheinweine Hessens (wie Anm. 7), S. XVIII Zurück
  14. Nach Scheu waren die meisten Stöcke des Kleinbergers degeneriert und daher besonders blütenempfindlich, was zu häufigeren Ernteausfällen, d.h. Fehlherbsten führte, s. Scheu Georg (wie Anm. 12), S. 169f. Zurück
  15. Gemeindearchiv Framersheim lfd. Nr. 21 (IX-2) Zurück
  16. Scheu Georg (wie Anm.12), S. 83 Zurück
  17. Stifte wurden auch als „Knötchen“ (s. Bronner Johann Ph. (wie Anm.11), S. 50) oder „Knot“ (s. Dern August, Weinbau und Weinbehandlung, Berlin 1914, S. 37ff.) bezeichnet. Zurück
  18. Scheu Georg (wie Anm.12), S. 88f. Zurück
  19. Etwas freier übersetzt lautet das Zitat: Die Art des Weinbaus ist im ganzen Kanton die gleiche. Die Rebe rankt sich um einen Pfahl und die Tragreben, die nach dem Rebschnitt verbleiben, werden zum Fuß des Rebstocks hin ungebogen und mit Weidenbändern angebunden. Zurück
  20. Bronner Johann Ph., Der Weinbau im Rheingaue, von Hochheim bis Coblenz, Heidelberg 1836 (Nachdruck Tübingen o.J.), S. 139f. und ders. (wie Anm.11), S. 77 Zurück
  21. S. Scheu Georg (wie Anm.12), S. 59ff und Dern August (wie Anm.17), S. 32ff Zurück
  22. S. Bronner Johann Ph. (wie Anm.11), S. 183 Zurück
  23. Widder Johann Goswin, Versuch einer vollständigen Geographisch-Historischen Beschreibung der Kurfürstl(ichen) Pfalz am Rheine, Dritter Theil, Frankfurt und Leipzig 1787, S.16 Zurück
  24. „Die zu Ost- und Westhofen wachsende(n) Weine“, die er „unter die Besten des ganzen Wormsgaues“ rechnet, nimmt Widder hiervon ausdrücklich aus, ebenda. Zurück
  25. Bronner Johann Ph. (wie Anm.11), S. 94 Zurück
  26. Unkommentiert dahin gestellt bleiben muss die Bemerkung des Framersheimer Maires, wonach sich der Wein seiner Gemeinde gegen den von Albig „vergleicht“ – wahrscheinlich aber sollte dies als Qualitätsaussage verstanden werden. Zurück
  27. Türke Klaus (wie Anm.6), S. 31f. Zurück

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