Nationalsozialismus
Weinbaupolitik unter dem Hakenkreuz
Bei der rheinhessischen Landbevölkerung und gerade bei Winzerinnen und Winzern erhielt die NSDAP in den wirtschaftlich prekären 1920er und -30er Jahren wachsenden Zuspruch. Dies betraf insbesondere die protestantisch geprägten Kreise Alzey und Oppenheim. Viele Menschen sahen ihren Betrieb kurz vor dem wirtschaftlichen Ende und erhofften sich Besserung durch die NSDAP. [Anm. 1] Im Zusammenhang mit der sogenannten „Blut-und-Boden-Ideologie“ wurde das idealisierte „Bauerntum“, zu welchem auch alle Weinbautreibenden gezählt wurden, propagandistisch vereinnahmt und völkisch umgedeutet: Jede Ernte wurde zur „Erzeugungsschlacht“ – nach 1939 zur „Kriegserzeugungsschlacht“. [Anm. 2] Erntedank wurde zu einem wichtigen nationalen Feiertag mit Umzügen, Weinproben und öffentlichem Weinausschank ausgeschmückt. [Anm. 3]
Parallel dazu wurden ab 1934 ausnahmslos alle Genossenschaften, Weinbauverbände und ähnliche Organisationen aufgelöst und in den sogenannten „Reichsnährstand“ eingegliedert – in der Sprache des Nationalsozialismus bezeichnete man diesen Prozess als „Gleichschaltung“. [Anm. 4] In der neuen Organisation fanden sich fast 40 Prozent aller deutschen Arbeitskräfte wieder. Eine wesentliche Aufgabe war es, einheitliche Regeln und Festpreise zu verordnen, um Bauern und Winzern marktunabhängige Umsätze zu garantieren. [Anm. 5] Der Reichsnährstand war streng hierarchisch und ohne Wahlen nach dem Führerprinzip gegliedert: An der Spitze stand Reichsbauernführer Walther Darré, gefolgt von Landesbauernführern sowie Kreis- und Ortsbauernführern. Über die Belange in Rheinhessen, das damals administrativ dem Gau Hessen-Nassau zugeordnet wurde, wachte zunächst Landesbauernführer Richard Wagner (1902–1973), ab 1940 Johann Weintz aus Armsheim (1902–1990), der zuvor bereits rheinhessischer Kreisbauernführer war. [Anm. 6] Die Partikularinteressen des rheinhessischen Weingewerbes wurden zudem durch Gauleiter Jakob Sprenger (1884–1945) befriedet. Er versuchte dabei, genau wie viele Gauleiter, aus Gründen Herrschaftssicherung vor allem seine eigene Anhängerschaft zu unterstützen. [Anm. 7]
Das „Fest der deutschen Traube und des Weines“
Mitunter ist heute noch das Narrativ anzutreffen, wonach die Weinbaupolitik der 1930er Jahre völlig losgelöst von den Verbrechen des Nationalsozialismus betrachtet werden könne. Dabei wird übersehen, dass die weinkulturellen Institutionen der NS-Zeit zentrale Propagandainstrumente waren, die stets mit der Durchsetzung gewaltsamer Politik gegenüber dem „jüdisch geprägten“ Weinhandel Hand in Hand gingen. Die Maßnahmen dienten stets auch der gezielten Veralltäglichung der nationalsozialistischen Ideologie [Anm. 8] – im Volksmund sprach man vom „Saufen für den Führer“. [Anm. 9]
Die Weinpropaganda, damals begrifflich noch ohne negative Konnotation, knüpfte an Ideen staatlicher Werbekonzepte der 1920er Jahre an. Ein zentrales Element waren die jährlich wechselnden Weinpatenschaften zwischen weinbautreibenden Ortschaften und Städten, die deren Wein trinken sollten. [Anm. 10] Rheinhessen gelangte dabei zunächst an die „schlechteren“ Patenstädte, da die anderen Weinbauregionen bereits auf Eigeninitiative die besten Großstädte herauspickten, während man Hierzulande auf eine offizielle Zuteilung wartete. [Anm. 11] In den Folgejahren wurde das Programm besser organisiert. Unterstützt wurden diese Aktionen durch Reiseaktionen der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ in Weinbaugebiete. [Anm. 12] Höhepunkt der Bemühungen war die reichsweite Weinwerbewoche „Fest der deutschen Traube und des Weines“ mit zahlreichen Winzer-Festzügen, Kundgebungen und folkloristischen Großveranstaltungen, begleitet von wohl zahllosen Sonderveranstaltungen in Gaststätten. [Anm. 13]
Viele individuelle Elemente der Weinwerbung, wie der bekannte Slogan „Trinkt deutschen Wein“, das Konzept der Weinfeste oder die Weinmajestäten, wurden dabei von den Nationalsozialisten nicht erfunden [Anm. 14] – sie wurden allerdings auf Betreiben der NSDAP maßgeblich, und ganz im Geist der Nürnberger Gesetze, popularisiert. [Anm. 15] Während die Weinpatenschaften und die Weinwerbewoche in Rheinhessen begeistert aufgenommen wurden, begann die große Zeit der Weinfeste in unserer Region erst in der Nachkriegszeit. Auch die rheinhessische Weinkönigin war 1951 eine, auf dem Erfolg der vorangegangenen Jahrzehnte basierende, Nachkriegserfindung. [Anm. 16] Durch die NS-Propaganda für den Weinbau konnte der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland von 3,6 Liter auf 6,7 Liter gesteigert werden [Anm. 17] – zumindest bis Kriegsbeginn war dies ein großer Erfolg für die damaligen Winzerinnen und Winzer und brachte der NSDAP Zulauf. [Anm. 18] Die Nationalsozialisten machten das Kulturgut Wein im 20. Jahrhundert wieder zu einem Massenkonsumartikel.
Vor Beginn des Zweiten Weltkriegs herrschte bereits ein stetig größer werdender Mangel an Arbeitskraft in der Landwirtschaft. Ab 1935 versuchte man durch die Gründung des Reichsarbeitsdienstes, alle jungen Männer und Frauen zu einem halbjährigen Dienst zu verpflichten – ebenso Schüler der „Hitler-Jugend“ und Schülerinnen des „Bund Deutscher Mädel“ im Rahmen eines Pflichtjahres. Ab 1939 wurden zunächst Soldaten der Wehrmacht, wenig später auch Kriegsgefangene in den rheinhessischen Weinbergen eingesetzt. [Anm. 19] Der Ausgleich durch ungelernte Zwangsarbeiter war jedoch nicht ausreichend. Zudem mangelte es ab 1940 zusätzlich an immer weiteren Betriebsmitteln, wie Dünger, aber auch Kupfer (Fungizid), Pfähle, Draht, Pferde, Maschinen und zahlreichen weiteren Dingen. Mit der Parole „Leergut ist Volksgut“ wurde in Rheinhessen zum sorgsamen Umgang mit Fässern, Leergut und Korken aufgefordert. [Anm. 20]
Die Verteilung der Weinerzeugnisse wurde staatlich gelenkt. Der hohe Bedarf der Wehrmacht forderte den Winzerinnen und Winzern stets höhere Abgaben der Ernte ab. Im Jahr 1943 erreichte die Abgabepflicht 80 Prozent, im August desselben Jahres 100 Prozent. [Anm. 21] Mancher Weinbaubetrieb stand in der Kritik, da er die Weinberge zeitweilig für Zwischenkulturen im Gemüsebau nutzte. [Anm. 22] Insgesamt ging die deutsche Rebfläche im Vergleich zur Vorkriegszeit um 20 bis 25 Prozent zurück. Grund waren neben des Kriegsgeschehens auch die Frostschäden des Polarwinters 1940, dem allein in Rheinhessen rund 4.000 Hektar zum Opfer fielen – dicht gefolgt von neuen Frostschäden 1941/42. [Anm. 23] Die Reblaus war möglicherweise der einzige Kriegsprofiteur im Weinbau. In Rheinhessen mussten nach dem Zweiten Weltkrieg erhebliche Teile der gesamten Rebfläche neu angelegt werden.
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
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- Krieger, Christof: Die Taufe des „Rassereinen“ Rebensaftes und die verlorene Unschuld der „Deutschen Weinkönigin“. Das Neustadter Weinlesefest als Kristallisationsort nationalsozialistischer „Volksgemeinschaft“, in: Raasch, Markus (Hrsg.): Volksgemeinschaft in der Gauhauptstadt. Neustadt an der Weinstraße und der Nationalsozialismus. Münster 2020.
- Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
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