„Wider den Sauffteuffel“
Ein Wahrnehmungswandel
Das 16. und das 17. Jahrhundert markieren den Beginn der Frühen Neuzeit. Die humanistischen Ideen der Renaissance und die zahlreichen Konflikte und Umwälzungen im Kontext der Reformation veränderten das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben. Gleichzeitig veränderte sich die mediale Wirklichkeit durch Buchdruck, Flugblätter und Flugschriften, im 17. Jahrhundert auch durch Zeitungen. Die Stadt Mainz nahm dabei im Bereich der Druckkunst eine Vorreiterrolle ein. [Anm. 1]
Häufiges Thema dieser neuen Massenmedien war die vorgebliche Trunksucht der Deutschen. Die Zeitgenossen nahmen diese als ein neuartiges Problem wahr und verdammten berauschendes Verhalten nun in einer Fülle von Schriften und Traktaten. Diese trugen klangvolle Namen wie „Dreyerley schäden der Trunckenheit wider das Zutrincken. Ein Kampff-Gesprech zwischen Wasser und Weyn“, „Von dem grewlichen laster der trunckenheit“, „Wider den Sauffteuffel“, „Von dem schweren Mißbrauch des Weins“ oder „Wie man sich vor dem Schandtlichen Laster der Trunckenheit hüten soll“. Die darin vermittelten Vorwürfe fasste bereits Martin Luther im Jahr 1534 zusammen: „Es muß einjeglich Land seinen eigenen Teufel haben, unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß Sauf heißen […]“. [Anm. 2] Auch in Rheinhessen wurden vergleichbare Werke veröffentlicht, so durch den Oppenheimer Buchdrucker und Verleger Jakob Köbel, der 1512 das Werk eines Johann von Schwarzenbach veröffentlichte: „Der Zudrincker vnd Prasser, Gesatze, Ordenung und Instruction“.
„Groß lüg von hell kommt yzt uff erd Das füllerey gehanthabt werd Darumb von heliger Engel kör Ein yder diesse warnung hör“
„Diß Kind on Scham/und sein figur vergleicht sich voller leut natur Wenn Kintheit/dorheit viel beteut Dar zu die Hörner dyrisch leut Die Öre hangt sörgtlich bei der Cron Das Loch ym Peutel/zeigt verthon Der plutig degen Mort und Zanck Die Dottenbor/Ein Leben Pranck Auff kein Gesatz der Truncken wygt drumb hie das Buch vertretten lygt Und heltet durch die Retten vest Der Teufel starck die vollen gest Also letzt ful der menschen mut und schader Seel/Eer/Leib und Gut Wer ubels förcht sucht ewig Eer Volg Got und nit des Teufels leer.“
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verschwindet die negative Berichterstattung wieder. [Anm. 3] Obwohl die Forschung noch lange der damaligen Argumentation eines gesteigerten Alkoholkonsums folgte, zeigt sich mittlerweile, dass sich vor allem die Wahrnehmung und Berichterstattung änderte, während für tatsächliche Veränderungen im Konsum glaubhafte Belege fehlen. Die überlieferten Beschreibungen situativer Konsumexzesse spiegeln nicht die alltäglichen Verbrauchsgewohnheiten wider. [Anm. 4] Schätzungen zum Verbrauch rangieren zwischen 0,25 und 1,3 Litern pro Kopf und Tag. Es gab dabei jedoch große regionale, saisonale und soziale Unterschiede. [Anm. 5] Zum normalen Wein trat ab dem 16. Jahrhundert immer mehr auch der Branntwein, dessen bislang überwiegend medizinischer Charakter sich langsam zu dem eines Genussmittels wandelte. [Anm. 6]
Eine neue Epoche bricht an
Der Rationalisierungsdruck der Frühen Neuzeit führte zu einer Neubewertung von Trunkenheit als Kontrollverlust, dessen man sich in einer nun vorgeblich vernunftbasierten Welt schämte. [Anm. 7] In der städtischen Rechtsprechung schlug sich der Wahrnehmungswandel in vielfältigen Verboten nieder. Im Besonderen richteten diese sich gegen das „Vollsaufen“ (Rausch-Antrinken), und das „Zutrinken“ (Zuprosten und damit zum vollständigen Austrinken auf das Wohl einer bestimmten Person nötigen). [Anm. 8]
Neben dieser Veränderung in der Wahrnehmung des Lebensmittels Wein blieben auch der Weinbau und Weinhandel von epochalen Umwälzungen nicht verschont. Durch mehrere Kriege, insbesondere den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) und den Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697), wurde das Gebiet des späteren Rheinhessens verwüstet. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kleinen Eiszeit, wurden viele zerstörte Weingärten nicht wieder neu aufgebaut. Die internationalen Handelsrouten veränderten sich und der Absatzmarkt für deutsche Weine sank. [Anm. 9] Im Gebiet des heutigen Rheinhessens bewahrte sich der Weinbau, aber in vielen anderen Regionen Deutschlands wurde er für immer aufgegeben. Der Handel mit Wein wandelte sich von einer angesehenen Tätigkeit, die einem elitären Personenkreis vorbehalten war, zu einer allgemeinen Tätigkeit, der nun auch immer mehr Küfer, Winzer, Wirte, Apotheker, Weinstecher und viele andere nachgehen durften. [Anm. 10]
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 05.03.2024