Glasmalerei aus dem Deutschen Weinbaumuseum in Oppenheim mit einem Gedicht von Joachim Perinet.
Glasmalerei aus dem Deutschen Weinbaumuseum in Oppenheim mit einem Gedicht von Joachim Perinet. Bild: Deutsches Weinbaumuseum, Foto: Sophia Sonja Guthier

„Wider den Sauffteuffel“

Ein Wahrnehmungswandel

Das 16. und das 17. Jahrhundert markieren den Beginn der Frühen Neuzeit. Die humanistischen Ideen der Renaissance und die zahlreichen Konflikte und Umwälzungen im Kontext der Reformation veränderten das gesamte gesellschaftliche Zusammenleben. Gleichzeitig veränderte sich die mediale Wirklichkeit durch Buchdruck, Flugblätter und Flugschriften, im 17. Jahrhundert auch durch Zeitungen. Die Stadt Mainz nahm dabei im Bereich der Druckkunst eine Vorreiterrolle ein. [Anm. 1]

Häufiges Thema dieser neuen Massenmedien war die vorgebliche Trunksucht der Deutschen. Die Zeitgenossen nahmen diese als ein neuartiges Problem wahr und verdammten berauschendes Verhalten nun in einer Fülle von Schriften und Traktaten. Diese trugen klangvolle Namen wie „Dreyerley schäden der Trunckenheit wider das Zutrincken. Ein Kampff-Gesprech zwischen Wasser und Weyn“, „Von dem grewlichen laster der trunckenheit“, „Wider den Sauffteuffel“, „Von dem schweren Mißbrauch des Weins“ oder „Wie man sich vor dem Schandtlichen Laster der Trunckenheit hüten soll“. Die darin vermittelten Vorwürfe fasste bereits Martin Luther im Jahr 1534 zusammen: „Es muß einjeglich Land seinen eigenen Teufel haben, unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muß Sauf heißen […]“. [Anm. 2] Auch in Rheinhessen wurden vergleichbare Werke veröffentlicht, so durch den Oppenheimer Buchdrucker und Verleger Jakob Köbel, der 1512 das Werk eines Johann von Schwarzenbach veröffentlichte: „Der Zudrincker vnd Prasser, Gesatze, Ordenung und Instruction“.

„Groß lüg von hell kommt yzt uff erd
Das füllerey gehanthabt werd
Darumb von heliger Engel kör
Ein yder diesse warnung hör“

„Diß Kind on Scham/und sein figur
vergleicht sich voller leut natur
Wenn Kintheit/dorheit viel beteut
Dar zu die Hörner dyrisch leut
Die Öre hangt sörgtlich bei der Cron
Das Loch ym Peutel/zeigt verthon
Der plutig degen Mort und Zanck
Die Dottenbor/Ein Leben Pranck
Auff kein Gesatz der Truncken wygt
drumb hie das Buch vertretten lygt
Und heltet durch die Retten vest
Der Teufel starck die vollen gest
Also letzt ful der menschen mut
und schader Seel/Eer/Leib und Gut
Wer ubels förcht sucht ewig Eer
Volg Got und nit des Teufels leer.“

Im Verlauf des 17. Jahrhunderts verschwindet die negative Berichterstattung wieder. [Anm. 3] Obwohl die Forschung noch lange der damaligen Argumentation eines gesteigerten Alkoholkonsums folgte, zeigt sich mittlerweile, dass sich vor allem die Wahrnehmung und Berichterstattung änderte, während für tatsächliche Veränderungen im Konsum glaubhafte Belege fehlen. Die überlieferten Beschreibungen situativer Konsumexzesse spiegeln nicht die alltäglichen Verbrauchsgewohnheiten wider. [Anm. 4] Schätzungen zum Verbrauch rangieren zwischen 0,25 und 1,3 Litern pro Kopf und Tag. Es gab dabei jedoch große regionale, saisonale und soziale Unterschiede. [Anm. 5] Zum normalen Wein trat ab dem 16. Jahrhundert immer mehr auch der Branntwein, dessen bislang überwiegend medizinischer Charakter sich langsam zu dem eines Genussmittels wandelte. [Anm. 6]

Eine neue Epoche bricht an

Der Rationalisierungsdruck der Frühen Neuzeit führte zu einer Neubewertung von Trunkenheit als Kontrollverlust, dessen man sich in einer nun vorgeblich vernunftbasierten Welt schämte. [Anm. 7] In der städtischen Rechtsprechung schlug sich der Wahrnehmungswandel in vielfältigen Verboten nieder. Im Besonderen richteten diese sich gegen das „Vollsaufen“ (Rausch-Antrinken), und das „Zutrinken“ (Zuprosten und damit zum vollständigen Austrinken auf das Wohl einer bestimmten Person nötigen). [Anm. 8]

Neben dieser Veränderung in der Wahrnehmung des Lebensmittels Wein blieben auch der Weinbau und Weinhandel von epochalen Umwälzungen nicht verschont. Durch mehrere Kriege, insbesondere den Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) und den Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688–1697), wurde das Gebiet des späteren Rheinhessens verwüstet. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kleinen Eiszeit, wurden viele zerstörte Weingärten nicht wieder neu aufgebaut. Die internationalen Handelsrouten veränderten sich und der Absatzmarkt für deutsche Weine sank. [Anm. 9] Im Gebiet des heutigen Rheinhessens bewahrte sich der Weinbau, aber in vielen anderen Regionen Deutschlands wurde er für immer aufgegeben. Der Handel mit Wein wandelte sich von einer angesehenen Tätigkeit, die einem elitären Personenkreis vorbehalten war, zu einer allgemeinen Tätigkeit, der nun auch immer mehr Küfer, Winzer, Wirte, Apotheker, Weinstecher und viele andere nachgehen durften. [Anm. 10]

Urheberschaft

Autor: Simeon Guthier

Stand: 05.03.2024

 

Anmerkungen:

  1.   Vor allem das Format der Rezept- und Kräuterbücher, was die Weinbehandlung miteinschloss, erfreute sich in diesem Kontext großer Beliebtheit. Drei Mainzer Werke gelten als Prototypen dieser Gattung: „Herbarius moguntinus“ (Mainzer Kräuterbuch) von 1484, „Gart der Gesundheit“ (Garten der Gesundheit, lat. Hortus sanitatis) von 1485 und „Hortus sanitatis“ (Garten der Gesundheit) von 1491 – die beiden letzteren werden zur Unterscheidung stets mit Erscheinungsjahr und in ihrer jeweiligen Schriftsprache Deutsch oder Latein betitelt. Zurück
  2.   Zitiert nach Stolleis 1996, S. 83. Zurück
  3. Austin 1996, S. 55–56. Zurück
  4. Austin 1996, S. 54; Bitsch, Roland 1990, S. 210–211; Fouquet, Gerhard 2004, 135–143 und 163-164; Legnaro, Aldo 1996, S. 71; Weber, Andreas Otto, S. 149–150; Dirlmeier, Ulf/Fouquet, Gerhard, S. 504–505; Hirschfelder 2004, S. 219–220. Zurück
  5. Pauly, Michel, 1994, S. 78–81 und 84; Matheus, Michael, Sp. 2121; Prößler, Berthold, S. 204. Zurück
  6.   Legnaro, Aldo 1996, S. 71. In Hessen, auf der gegenüberliegenden Rheinseite zu dem Rheinhessen damals noch nicht gehörte, wurde 1524, 1559 und 1579 mit gesetzlichen Bestimmungen gezielt gegen den Branntwein vorgegangen, jedoch ohne Erfolg; vgl. hierzu Austin, Gregory 1996, S. 55. Zurück
  7. Legnaro, Aldo 1996, S. 64–71. Im Gegensatz zur Prohibitionsbewegung des 20. Jahrhunderts stand bei Kritik aus Perspektive der Sittlichkeit stets der falsch handelnde Trinker im Fokus, nicht der Alkohol an sich; vgl. hierzu Hirschfelder 2004, S. 237. Zurück
  8. Stolleis 1996, S. 78–86. Zurück
  9. Arntz, Helmut, 1964, S. 15–16. Zurück
  10. Arntz, Helmut, 1964, S. 16–19; für den Weinhandel in Mainz vergleiche hierzu: Guthier, Simeon: Weinhandel am Rhein seit dem 16. Jahrhundert. In: Brüchert, Hedwig (Hrsg.): Mainz. Stadt am Strom. Mainz 2022, S. 73-77. Zurück

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