Mechanischer Blattbenetzungsschreiber mit Thermohygrograph. Im Einsatz 1982-1995.
Mechanischer Blattbenetzungsschreiber mit Thermohygrograph. Im Einsatz 1982-1995.  Bild: Deutsches Weinbaumuseum, Foto: Sophia Sonja Guthier

Wetter, Klima und der Wein

Von Messung bis Beeinflussung

Wetter und Klima haben einen großen Einfluss auf den Weinbau. Mit Wetter wird der aktuelle Zustand der Atmosphäre an einem Ort bezeichnet: Regen, Sonnenschein, Hagel usw. Unter dem Begriff Klima versteht man hingegen das durchschnittliche Wetter der letzten Jahrzehnte. Rheinhessen genießt das relativ geschützte Klima eines Beckens, umgeben vom Nordpfälzer Bergland, Hunsrück, Taunus und Odenwald. Es gilt als eine der Wärme- und Trockeninseln Deutschlands mit ausreichend Niederschlag und einer günstigen Jahresdurchschnittstemperatur von 10,5°C. [Anm. 1]

Bis in die Neuzeit hinein hatte das Wetter einen wesentlich größeren Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg der Ernte. [Anm. 2] Weinberge waren häufig in Teilabgabesysteme eingebunden und die Winzerinnen und Winzer durften nicht früh oder spät lesen, sondern jedes Jahr exakt zum herrschaftlich vorgegebenen Zeitpunkt – auch alle anderen Arbeiten waren kalendarisch genau vorgegeben. [Anm. 3] Das gleichzeitige Lesen in einem Ort war auch im Kontext der Schädlingsabwehr relevant. Nicht zuletzt musste die Pacht in Naturalien zu einem festen Zeitpunkt bezahlt werden. [Anm. 4] In alten Bauernregeln finden sich noch Hinweise auf diese durch den Heiligenkalender geprägte Arbeitsordnung: „Maria Lichtmeß – Spinnen vergeß! Spinnrad hinter die Tür, Rebmesser dafür!“, [Anm. 5] oder „Johannis Enthaupt, schneidt man das Laub“. [Anm. 6] Heute sind die meisten Weinbaubetriebe alleiniger Entscheider über die eigene Betriebsfläche und können die Trauben bis zur Reife hängen lassen. Die bessere Vorbereitung durch Wetterdienste und teilweise sogar die direkte Beeinflussung des Wetters (Hagelabwehrmaßnahmen) sind für den Weinbau bedeutende Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts. Dennoch bleibt ein Risiko.

Die Geschichte der Klimamessung und -überlieferung beginnt im 17. Jahrhundert mit ersten individuell geprägten Instrumentenmessungen. [Anm. 7] Ältere Klimadaten lassen sich mithilfe schriftlicher Überlieferungen rekonstruieren, beispielsweise aus Ernteerträgen, die in Rechnungen dokumentiert wurden. [Anm. 8] Eine besondere Quellengattung stellen die sogenannten „Weinchroniken“ dar. Vor dem Hintergrund der unmittelbaren Abhängigkeit des Weinbaus von Wetter und Klima begannen Winzer schon sehr früh, Weinertrag und Weingüte schriftlich festzuhalten. [Anm. 9]  

Der vereiste Rhein, vermutlich im Winter 1928/29. Zuletzt war der Rhein 1963 zugefroren. Bild: Sammlung Otto Schätzel
Der vereiste Rhein, vermutlich im Winter 1928/29. Zuletzt war der Rhein 1963 zugefroren. Bild: Sammlung Otto Schätzel
Der vereiste Rhein, vermutlich im Winter 1928/29. Zuletzt war der Rhein 1963 zugefroren. Bild: Sammlung Otto Schätzel
Der vereiste Rhein, vermutlich im Winter 1928/29. Zuletzt war der Rhein 1963 zugefroren. Bild: Sammlung Otto Schätzel

Die „Kleine Eiszeit“

Für die Geschichte des Weinbaus ist vor allem die sogenannte „Kleine Eiszeit“ von großer Bedeutung. Damit bezeichnet man eine Periode relativ kühlen Klimas in Europa ab dem 15. Jahrhundert mit Ausläufern teilweise bis ins 19. Jahrhundert, welche das warme, spätmittelalterliche „Klimaoptimum“ ablöste. Zwischen etwa 1680 und 1700 herrschte besonders eisige Kälte (das sogenannte „Maunder-Minimum“). Als häufige Ursache werden vulkanische Aktivitäten vermutet, die zu einer verminderten Sonneneinstrahlung führten, während gleichzeitig die Sonne eine reduzierte Fleckenaktivität aufwies: Flüsse erstarrten, Rebstöcke erfroren. Die wenigen überlebenden Weingärten, die in kalten Wintern überlebten, mussten mit nassen Sommern kämpfen. Viele der in den zahlreichen Kriegen dieser Epoche zunichtegemachten Rebanlagen wurden nicht wiederaufgebaut. Der Weinbau in Norddeutschland und Nordeuropa kam vollständig zum Erliegen und als Alltagsgetränk wurde Wein in zahlreichen Regionen weitgehend von Bier abgelöst. [Anm. 10]

Die zweite Seite dieser Chronik finden Sie hier in der Quellensammlung.

Urheberschaft

Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022

Literatur

  • Bab, Bettina: Leserinnen und Winzerinnen. Frauenarbeit im Weinbau. In: "Romantik, Reisen, Realitäten. Frauenleben am Rhein". [erscheint zur Ausstellung "Romantik, Reisen, Realitäten. Frauenleben am Rhein", vom 1. September bis 31. Dezember 2002 im FrauenMuseum Bonn]. Bonn 2002 (Rheinreise 2002), S. 106–109.
  • Bronner, Johann Philipp: Der Weinbau in der Provinz Rheinhessen, im Nahetal und Moseltal. In: Der Weinbau in Süddeutschland. Hrsg. v. Johann Philipp Bronner. Heidelberg 1834.
  • Glaser, Rüdiger: Klimageschichte Mitteleuropas. 1200 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Darmstadt, 3. Auflage, 2013.
  • Koch, Hans-Jörg: Rheinhessen - Weinhessen. Skizzen aus 2000 Jahren. Vortrag auf der Veranstaltung der Gesellschaft für Geschichte des Weines am 25. Main 1968 in Oppenheim. Wiesbaden 1969 (Schriften zur Weingeschichte, Bd. 19).
  • Koch, Hans-Jörg: Rheinhessisches Weinlexikon. [Mainz] 1995.
  • Krämer, Christine: Rebsorten in Württemberg. Herkunft Einführung Verbreitung und die Qualität der Weine vom Spätmittelalter bis ins 19. Jahrhundert, 2006 (Tübinger Bausteine zur Landesgeschichte, Bd. 7).
  • Lauer, Wilhelm/Frankenberg, Peter: Wein und Witterung in der Rheinpfalz und im Rheingau seit Mitte des 16. Jahrhunderts.
  • Lauer, Wilhelm/Frankenberg, Peter: Zur Rekonstruktion des Klimas im Bereich der Rheinpfalz seit Mitte des 16. Jahrhunderts mit Hilfe von Zeitreihen der Weinqualität. Stuttgart [u.a.], 1986 (Paläoklimaforschung, Bd. 2).
  • Matheus, Michael/Matheus, Ricarda: "Je älter der Rheinwein wird, je mehr Firne bekömmt er, welches dem Kenner am meisten gefällt": Beobachtungen zum Geschmackswandel im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Mainzer Zeitschrift. mittelrheinisches Jahrbuch für Archäologie, Kunst und Geschichte, Bd. 96/97 (2002) (2002), S. 73–85.
  • Pauly, Michel: Weinhandel und Weinkonsum. Luxemburg im späten Mittelalter. Luxembourg, 1994 (Publications de la Section Historique de l'Institut Grand-Ducal, Bd. 109).
  • Pfister, Christian: Das Klima der Schweiz von 1525-1860 und seine Bedeutung in der Geschichte von Bevölkerung und Landwirtschaft. Erster Teil: Die Rekonstruktion der Witterungs- und Klimaverhältnisse, 1985.
  • Prößler, Berthold: Mayen als Weinstadt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte, Bd. 35 (2009) (2009), S. 203–213.
  • Schlamp, Jacob: Die Weinjahre des 19. Jahrhunderts. Nebst einem Anhange "Nierstein und das Weinbuch von W. Hamm". Wiesbaden 1879.
  • Schlamp, Jacob: Familiengeschichte Schlamp. Lebensbeschreibung von Jacob Schlamp. Nierstein 2. Aufl., 1886 (2011).
  • Struck, Wolf-Heino: Sozialgeschichte des Rheingaus im 17. und 18. Jahrhundert. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte. Hrsg. v. 1965, [109]-161, Bd. 15).
  • Uytven, Raymond van: Der Geschmack am Wein im Mittelalter. In: Weinproduktion und Weinkonsum im Mittelalter. Hrsg. v. Michael Matheus. Stuttgart 2004 (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 51).
  • Volk, Otto: Saisonale Aspekte im spätmittelalterlichen Weinbau. In: Rhythmus und Saisonalität. Kongreßakten des 5. Symposions des Mediävistenverbandes in Göttingen 1993 (1995), S. 117–134.
  • Weber, Andreas Otto: Weinbau, Weinhandel und Weinkonsum diesseits und jenseits der Alpen in Mittelalter und Früher Neuzeit. In: Schwaben und Italien (2010), S. 133–152.
     

Anmerkungen:

  1.    Rheinhessenwein e.V. (Hrsg.): Wein-Landschaft. URL: rheinhessen.de (Archivlink) (Stand: 27. Oktober 2021)

     Zurück
  2.   Volk, Otto, S. 118. Die Risikominimierung wird regelmäßig als einer der Gründe angeführt, weshalb Weinbau früher fast ausschließlich im Mischbetrieb praktiziert wurde. Die Witterungslage kann selbst innerhalb einer einzelnen Region wie Rheinhessen in manchen Jahren zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen. Hans-Jörg Koch benennt das daran anschließende Phänomen mit dem klangvollen Begriff „Neidischer Herbst“ (mit Verweis auf die großen Unterschiede zwischen dem rheinhessischen „Hügelland“ und den „Rheinterrassen“); vgl. hierzu Koch 1995, S. 143. Zurück
  3. Volk, Otto, S. 134. Zurück
  4. Weber, Andreas Otto, S. 146. Zurück
  5. Spruchwort, zitiert nach Bab, Bettina 2002, S. 107. Zurück
  6. Spruchwort aus Bechtheim, zitiert nach Bronner, Johann Philipp 1834, S. 52. Zurück
  7. Glaser, Rüdiger, 2013, 14 und 18-21. Zurück
  8. Glaser, Rüdiger, 2013, S. 23. Diese sprachlichen Klimahinweise lassen sich mithilfe einer Klassifizierungsliste in numerische Werte übertragen. Man erhält auf diese Weise Indizes, die sich mit frühen Instrumentenmessdaten und anderen Erkenntnissen parallelisieren lassen, um sie zu validieren; vgl. hierzu Glaser, Rüdiger, 2013, S. 36-37. Zurück
  9.   Bei der Nutzung von Weinchroniken zur Klimarekonstruktion, was seit dem 19. Jahrhundert versucht wird, muss eine umfangreiche Validierung vorangestellt werden. Denn die Chroniken entstanden oft über mehrere Generationen und eventuelle Lücken zurückliegender Jahre wurden in erheblichem Maße von anderen Chronisten aus mehr oder weniger angrenzenden Regionen abgeschrieben (ohne dies anzugeben); vgl. hierzu Lauer, Wilhelm/Frankenberg, Peter, 1986, S. 11 und S. 99-109, Pauly, Michel, 1994, S. 61–62, Pfister, Christian, 1985, S. 40–44. Rüdiger Glaser bezeichnet die Quellengattung – trotz ihres großen Werts – nicht grundlos als „üble Kompilationen“; zit. Glaser, Rüdiger, 2013, S. 22. Eine mögliche Urquelle für einzelne Einträge in zahlreichen Weinchroniken aus dem gesamten europäischen Raum ab 1626 stammt vermutlich aus Luxemburg; vgl. hierzu Lauer, Wilhelm/Frankenberg, Peter, 1986, S. 11. Zurück
  10. Lauer, Wilhelm/Frankenberg, Peter, S. 105, 107 und 109; Krämer, Christine, 2006, S. 124, 128 und 130; Pfister, Christian, 1985, S. 127–131; Struck, Wolf-Heino 1965, S. 114; Prößler, Berthold, S. 212–213. Auch weitere Faktoren kommen neben Krieg und Klima für den Rückgang des Weinbaus im 17. Jahrhundert infrage: Epidemien (bspw. die Pest 1666/67 in Rheinhessen), billigere Südweinimporte, Bier und andere Alternativgetränke, überhaupt veränderte Handelsrouten und das Wegbrechen von Absatzmärkten. Was in welchem Umfang ursächlich ist, lässt sich höchstens begründet vermuten; vgl. hierzu u.a. Koch, Hans-Jörg, 1969, S. 4. Zurück

Fehler: Fußnote konnte nicht geladen werden.