Wein und Literatur
Winzerarbeit und Weinberge als Inspiration für Schriftstellerinnen und Schriftsteller
Die Region hat viele bedeutende Schriftstellerinnen und Schriftsteller hervorgebracht. [Anm. 1] Dem Wein und der Arbeit der Winzer darf dabei als Inspirationsquelle eine lange Tradition zugesprochen werden. Bereits im Frühmittelalter verordnete der in Rheinhessen reich begüterte Karl der Große 789, dass Nonnen sich fortan keinesfalls anmaßen dürften, „yuinileodes“ (Weinlieder) zu verfassen. Diese galten vermutlich aufgrund ihrer Nähe zu Minne- und Liebesliedern als besonders unsittlich. [Anm. 2] Auch die in Bermersheim vor der Höhe geborene Hildegard von Bingen (um 1098-1179) oder der Minnesänger Friedrich von Hausen (1150-1190) aus dem Gefolge Barbarossas, dessen Herkunft ungewiss, aber dessen Familie in vielen rheinhessischen Orten begütert war, beschäftigten sich in ihren Liedern und literarischen Werken gerne mit dem Wein. [Anm. 3] In der Renaissance entwickelten sich Mainz und Worms zu bedeutenden Orten der Druckkunst.
Es gibt viele rheinhessischen Schriftsteller der Frühen Neuzeit, die sich mit Wein und Winzerarbeit beschäftigt haben: Zu nennen sind Johann Nikolaus Götz (1721-1781) und sein Schüler Isaak Maus (1748-1833). Während der in Worms geborene Pfarrer Götz sich ganz der Dichtung hingab, wählte sein Schüler Maus aus Badenheim für sich ein bodenständigeres Dasein und schuf als Bauerndichter naturverbundene Schilderungen des bäuerlichen Alltags und der Lebensart. [Anm. 4] Der Wendelsheimer Pfarrer und Schriftsteller Friedrich Christian Laukhard (1757-1822) schrieb sehr lebensnah über den alltäglichen Umgang mit Wein, den er bereits als Kind kennenlernte, und die harte Arbeit. [Anm. 5]
Der an der Mainzer Republik als Jakobiner beteiligte Revolutionär Georg Forster (1754-1794) legte in seinen vielen Schriften auch immer wieder ein Augenmerk auf den Weinbau. [Anm. 6] Der trotz Adelsstand von den revolutionären Umbrüchen nicht minder faszinierte Komponist Johann Friedrich Hugo von Dalberg (1760-1812) verarbeitete das Thema Wein in vielen seiner Liedtexte. [Anm. 7] Als Vertreter der 1849er Generation sei auf Ludwig Kalisch (1814-1882) hingewiesen, Herausgeber und Autor der Mainzer Fastnachtszeitschrift „Narrhalla“, später Korrespondent der erfolgreichen Illustrierten „Gartenlaube“. [Anm. 8] Genannt sei zudem der Bingen-Büdesheimer Lyriker Stefan George (1868-1933), dessen persönlicher Bezug als Sohn eines Weinhändlers, Gastwirts und Weingutsbesitzers sich auch in seiner schriftstellerischen Tätigkeit widerspiegelte. [Anm. 9]
Selbst bei namhaften Schriftstellern, die nicht aus Rheinhessen stammten oder hier lebten, finden sich bekannte Vertreter der hiesigen Gewächse: Heinrich von Kleist (1777-1811) nennt in „Der zerbrochene Krug“ den Niersteiner Wein. [Anm. 10] Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der ohnehin einen ausgesprochen weinfrohen Ruf genoss, schrieb in der 1775er Urversion von Faust ebenfalls von einem „Glas Rheinwein, echten Nierensteiner“. Der Wein aus Nierstein war im 18. Jahrhundert sicher der bekannteste Rheinwein des linken Rheinufers. [Anm. 11] Goethe schrieb zudem 1814 seine Eindrücke bei dem Fest zur Einweihung der wiedererrichteten St. Rochus-Kapelle bei Bingen nieder. [Anm. 12] Er erlebte munter zechende und speisende Feiernde und selbst Kindern wurde der Wein nicht versagt. Natürlich genoss auch Goethe einige gut gefüllte „braune Krüglein“. Wein war das vorrangige Gesprächsthema an den Tischen. Jemand erinnerte an die „Fastenpredigt unseres Weihbischofs“. Dieser kritisierte „das schreckliche Laster der Trunkenheit“, riet aber nicht zur Abstinenz, sondern empfahl, dass jeder nicht mehr trinken sollte, als ihm guttat. So konnte man vermeiden, dass man im Rausch Frau und Kinder schlug oder andere Untaten beging. [Anm. 13]
Wilhelm Holzamer (1870-1907) aus Nieder-Olm ließ die Figuren seiner naturalistischen Romane zum Trinken und der Kunst des Genießens Stellung beziehen: [Anm. 14] In „Vor Jahr und Tag“, einem der naturalistischen Romane Wilhelm Holzamers aus Nieder-Olm, wird dem Lehrer Vetterlein bei einem Glas Wein klar, dass „er ... etwas in sich [hatte] ... von der alten, langvererbten Genießerkunst der Rheinhessen“, obwohl er von der anderen Rheinseite an die Selz gekommen ist. In seinen Gedichten geht es ebenfalls um den Wein. [Anm. 15] Rheinhessen mit seinen Hügeln, Reben und dem Rhein hat auch die dort beheimatete Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899-1950) stark geprägt. [Anm. 16]
Letztlich sei auf Carl Zuckmayer (1896-1977) hingewiesen, dessen Bedeutung im frühen 20. Jahrhundert hervorgehoben werden muss. Vor allem sein Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“ – ein gesellschaftskritisches Theaterstück in einem vorgeblich fiktiven Winzerdorf, das jedoch seiner Heimat Nackenheim sehr ähnelte und dessen Hauptfigur den Nachnamen eines bekannten Nackenheimer Winzers trug [Anm. 17] – vermochte es wie kein anderes, zu polarisieren: Zur Mainzer Premiere, die nur unter großem Polizeiaufgebot stattfinden konnte, versammelten sich 1926 die gekränkten rheinhessischen Winzerinnen und Winzer zur Großdemonstration. Vieles spricht allerdings dafür, die Demonstration zu diesem Zeitpunkt auch als Ventil für die wirtschaftliche Notlage und allgemeine Unzufriedenheit in der Weinbaubranche zu dieser Zeit anzusehen. [Anm. 18]
Ganz ohne Zweifel wären noch viele weitere Autorinnen und Autoren im literarisch reichen Rheinhessen anzuführen. [Anm. 19]
Im vergangenen Jahrzehnt rühmte sich Rheinhessen mit der größten Dichte an Krimiautorinnen und autoren in ganz Deutschland. 14 von ihnen sind im Verbund „Mörderisches Rheinhessen“ zusammengeschlossen und machten den „Rheinhessenkrimi“ zur Marke. Dass der die Region prägende Wein dabei ausreichend Erwähnung findet, darf vorausgesetzt werden. [Anm. 20] Seit 2007 existiert zudem mit der im Herbst stattfindenden Veranstaltungsreihe „Rheinhessen liest“ eine weinkulturelle Verbindung zwischen Lesung und ansprechendem Veranstaltungsort in Weingütern oder Straußwirtschaften. [Anm. 21]
Urheberschaft
Autor: Simeon Guthier
Stand: 25.10.2022
Literatur
- Bassermann-Jordan, Friedrich von: Goethe und der Wein. Sonderdruck aus Heft 15/16 1949 der Fachzeitschrift Das Weinblatt., 1949.
- Belzer, Christian: Die SchUM-Städte und der Wein. In: Atlas der Weinkultur in Rheinland-Pfalz. URL: atlas-der-weinkultur-rlp.de/die-schum-staedte-und-der-wein-bedeutung-des-weins-im-judentum (Zugriff: 15.07.2022)
- Daniel Deckers: Um jener geheimen Schönheit willen. Carl Zuckmayer, Carl Gunderloch und die Weinberge von Nackenheim. In: Weinkultur und Weingeschichte an Rhein, Nahe und Mosel. Hrsg. v. Michael Matheus. Stuttgart 2019 (Mainzer Vorträge, Bd. 22), S. 143–158.
- Elisabeth Langgässer: Briefe 1924-1950. Band 2. Düsseldorf 1990
- Gallé, Volker: Grabungen in Himmel und Erde. Rheinhessische Literatur von Hildegard von Bingen bis Heinz G. Hahs. In: Erlesenes aus Rheinhessen. Bücher, Schreiber, Bibliotheken. [Festschrift für Michael Real. Ingelheim am Rhein 2010 (Veröffentlichungen der Bibliotheken der Stadt Mainz, Bd. 57), S. 9–17.
- Goethe, Johann Wolfgang von: Sankt-Rochus-Fest zu Bingen. Hamburger Ausgabe, Band 10. Am 16. August 1814. URL: www.projekt-gutenberg.org/goethe/strochus/stroc001.html (Zugriff: 09.09.2022).
- Heineccius, Johann Gottlieb: Corpvs Ivris Germanici Antiqvi. Qvo Continentvr Leges Francorvm Salicae Et Ripvariorvm, Alamannorvm, Baivvariorum, Bvrgvndionvm, Frisiorvm, Angliorvm Et Werinorvm, Saxonvm, Langobardorvm, Wisigothorvm, Ostgothorvm, Nec Non Capitvlaria Regvm Francorvm. Vna Cvm Libris Capitvlarivm Ab Ansegiso Abbate Et Benedicto Levita Collectis. Opvs … Post Cl. Virorvm Bas. Io. Heroldi, Frider. Lindenbrogii, Steph. Bal vzii, Io. Ge. Eccardi, Lvd. Ant. Mvratorii Aliorvmqve Praestantissimos Labores Diligentivs Recognitvm, Variantibvs Lectionibvs Et Indice … Instrvctvm. Halae Magdeburgicae [=Halle (Saale)], 1738.
- Holzamer, Wilhelm: Hessen. 45 Ansichten nach der Natur aufgenommen. Begleitende Worte von Wilhelm Holzamer. Frankfurt am Main [1905].
- Holzamer, Wilhelm: Vor Jahr und Tag. Roman. Mit einem Nachwort von Jens Frederiksen. Mainz 1997
- Klein, Wolfhard: Rheinhessen liest und Mörderisches Rheinhessen als neue literarische Veranstaltungsreihen. In: Erlesenes aus Rheinhessen. Bücher, Schreiber, Bibliotheken. [Festschrift für Michael Real. Ingelheim am Rhein 2010 (Veröffentlichungen der Bibliotheken der Stadt Mainz, Bd. 57), S. 32–36.
- Klussmann, Paul Gerhard: „George, Stefan“. In: Neue Deutsche Biographie 6 (1964). URL: www.deutsche-biographie.de/pnd11853856X.html (Zugriff: 15.07.2022), S. 236-241.
- Koch, Hans-Jörg: Rheinhessisches Weinlexikon. [Mainz] 1995.
- Kraus, Bardo: Uraufführung „Der fröhliche Weinberg“. URL: www.nackenheim.de/og_nackenheim/Kultur/Carl%20Zuckmayer/Urauff%C3%BChrung%20%22Der%20fr%C3%B6hliche%20Weinberg%22/ (Zugriff: 15.07.2022)
- Literaturland Rheinhessen - das Buch. Konzept und Text von Michelle Aßmann, Iris Hartmann und Ursula Hertlein. Worms 2016 (Veröffentlichungen der Bibliotheken der Stadt Mainz, Bd. 65).
- Mahlerwein, Gunter: Rheinhessen 1816 - 2016. Die Landschaft, die Menschen und die Vorgeschichte der Region seit dem 17. Jahrhundert. Mainz 2015.
- Weiers, Karl Heinz: Goethes Erlebnisse auf dem Sankt-Rochus-Fest zu Bingen am 16. August des Jahres 1814 und sein späterer Bericht über dieses Volksfest. URL: www.niess.info/buch/pdf/05%20-%20Goethe/rochus.pdf (Zugriff: 15.07.2022).